Am 26.06.2012, den weltweiten Tag gegen den Missbrauch von Drogen, hat der iranische Vizepräsident Mohammad RezaRahimi einen Schuldigen für die globale Ausbreitung der Drogen ausgemacht. Die "Zionisten", die damit ihrem Ziel, die Vernichtung der Nicht- Juden, näher kommen. Als Beleg führt Rahimi an, unter den Zionisten keinen Drogensüchtigen zu finden.
Rahimi steht stellvertretend für die islamisch-arabische Welt mit ihrem Glauben an eine jüdische Weltverschwörung.
Die Journalistin und Islamwissenschaftlerin Carmen Matussek geht den Ursachen und der Wirkung dieser bis heute angewandten antisemitischen Verschwörungstheorie in ihrer ursprünglich als Magisterarbeit konzipierten Untersuchung „Der Glaube an eine ‚jüdische Weltverschwörung‘. Die Rezeption der ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ in der arabischen Welt“ nach.
Carmen Matussek betrachtet im ersten Teil ihrer Arbeit die Entstehung der Protokolle und ihren Inhalt. Im zweiten Teil konzentriert sie sich auf die Grundlagen von Verschwörungstheorien. Welche Mechanismen greifen, um eine Verschwörungstheorie erst zu einer Verschwörungstheorie zu machen. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der gezielten Verbreitung des Verschwörungstextes innerhalb der arabischen Welt. Es schließt sich eine Diskussion an, die nach den Gründen dieser gezielten Propaganda fragt. Im sich anschließenden Fazit werden die Protokolle als Richtlinie der arabischen Politik ausgemacht.
1921 werden die von Sergei Alexandrowitsch Nilus seit 1905 verbreiteten „Protokolle der Weisen von Zion“ als Fälschung entlarvt. Nachweislich ist der Wortinhalt aus einem zwischen Machiavelli und Montesquieu in dem Buch „Dialog der Hölle“ geführten Gespräch übernommen und auf die Juden übertragen.
Die Verschwörungstheoretiker beharren dennoch auf den Wahrheitsgehalt der vermeintlich geheimen Niederschrift. Ihrer Meinung nach ist sie ein Zeugnis für die jüdische Verschwörung zur Erlangung der Weltherrschaft, die durch drei Handlungsebenen erreicht werden soll. Eine Ebene bildet die Schwächung des Liberalismus, um die Freiheit der Massen zu beschränken. Die zweite Ebene ist die gezielte Verbreitung von Drogen, um so den Widerstand der Massen zu brechen. Die dritte Ebene ist ein Krieg gegen die Nichtjuden geführt mit der Waffe des Terrors. Den Beweis für diese gezielte Weltherrschaftsstrategie sehen die Verschwörungstheoretiker in der Historie selbst begründet. So wird die Besetzung von Schlüsselpositionen mit Juden innerhalb der philosophischen Strömungen, politischer Bewegungen, im soziologischen und psychoanalytischen Bereich als Zeugnis benannt. Namen wie Freud, Satre, Durkheim werden zum Indiz. Ereignisse mit weltpolitischen Folgen wie der Erste und Zweite Weltkrieg, selbst der Holocaust und die Nakba sowie das World Trade Center Attentat am 11. September 2001 werden der subversiven jüdischen Strategie zur Erringung der Weltherrschaft zugeordnet. Hinter Pandemien und Seuchen wie der Schweinegrippe steckt das jüdische Komplott. Selbst hinter innerarabischen Konflikten wie beispielsweise dem Iran-Irak-Krieg verbirgt sich der jüdische Feind.
Damit festigen sich die antisemitischen Stereotype und werden reduziert auf ein Opfer- Täter-Bild, wobei der Täter, das jüdische Böse ist, das vor nichts zurückschreckt und dem der Rest der Welt nur mit Widerstand entgegentreten kann. Der jüdische Sündenbock wird benötigt, um vom eigenen politischen Versagen abzulenken. Die Schaffung eines gemeinschaftlichen Bedrohungsszenarios entlastet die politische und religiöse Clique. Die Verschwörungstheorie muss zwangsläufig zum stabilisierenden Anker werden. Infolgedessen wird jede plausible und belegte Gegenthese zum Vertuschungsargument der jüdischen Weltverschwörung degradiert.
Untermauert wird die Verschwörungsthese durch die Aussagen von Wissenschaftlern, Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Kultur sowie der Heranziehung von jüdischen Persilschein-Experten.
Die Aussagen entfachen einen antisemitischen Waldbrand, der mit Hilfe der Medien zum Flächenbrand wird. Über die Presse, die Literatur, das Internet und insbesondere das Fernsehen wird die gefährliche Propaganda in die islamisch-arabischen Haushalte gespült. Ein Paradebeispiel hierfür liefert die ägyptische Serie „Reiter ohne Pferd“. Eine der im arabischen Raum meist gesehenen und erfolgreichsten antisemitischen Serien.
Selbst renommierte Lehrinstitute wie die Azhar Universität in Kairo wirken als Multiplikator zur Verbreitung des antisemitischen Pamphlets. Und in der Türkei haben sich die „Protokolle der Weisen von Zion“ zu einem Erfolgsbuch mit Bestsellerqualität entwickelt.
Weitere Verbreitungswege finden sich über Einrichtungen, die über Bildungsinstitute, die Kontrolle von Medien und kulturellem Einfluss in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich verfügen. Hierunter fallen Organisationen wie die radikal-islamische Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde.
Die „Protokolle der Weisen von Zion“ sind ein fester Bestandteil der arabischen Politik, der auf internationalen Veranstaltungen und Konferenzen sichtbar wird. Selbst auf der Frankfurter Buchmesse konnte der Iran im Jahr 2005 ungehindert mit einem Buch über die „Protokolle der Weisen von Zion“ werben.
Es sind keine vereinzelten Entgleisungen, die sich in der verschwörungstheoretischen Propaganda finden. Der Antisemitismus wird zum festen Bestandteil des gesellschaftlichen Denkens innerhalb der islamisch-arabischen Welt. Ein Antisemitismus, der sich bereits weit vor dem Nah-Ost-Konflikt gefestigt hat und der dementsprechend nicht die Ursache des Konflikts sein kann.
Carmen Matussek weist auf die Gefahr der ungehinderten Verbreitung der jüdischen Weltverschwörungstheorie hin. Der nicht reale Sachverhalt wird sukzessive zum realen Fakt.
„Das Gerücht vom Juden“ wie Theordor W. Adorno den Antisemitismus genannt hat, ist innerhalb der islamisch-arabischen Welt ein fester Bestandteil der politischen und gesellschaftlichen Kultur. Es handelt sich um ein politisches Kalkül, das ein einfaches Erklärungsmodell liefert und so vom eigenen Versagen und mangelndem Selbstwertgefühl ablenkt. Die tiefe historische Verwurzelung der gemeinschaftlich antisemitischen Identitätsbildung wirkt wie eine dauerhafte Immunisierung mit dem Effekt der Abwehr von Wahrheiten.
Carmen Matussek hat mit ihrem Beitrag offen gelegt, dass es sich um keine stille Propaganda handelt, die auf historisch-antisemitische Figuren wie den Großmufti von Jerusalem Amin al-Husseini, Alfred Rosenberg, Adolf Hitler und Henry Ford zurückgreift und die im täglichen Diskurs ihre perfide Lüge über die „Protokolle der Weisen von Zion“ entlädt. Betrachtet man die systematische Verunglimpfung im Wortlaut, so wird deutlich, dass sich die heutigen von offizieller Seite getätigten antisemitischen Weltverschwörungsaussagen mit ihren Drohungen und Vernichtungszielen mit den historischen decken.
Da die internationale Staatengemeinschaft kaum bereit ist, dieser antisemitisch geführten Schlacht ein sichtbares Zeichen entgegenzusetzen, sondern als partieller Teilhaber ihre Auswüchse billigend in Kauf nimmt und teilweise unterstützt, hat sich diese Propaganda zu einem nicht zu unterschätzenden Gewöhnungsprozess entwickelt, der das Risiko aggressiver Reaktionen zur Beseitigung des Juden alias Israel in sich trägt.
Carmen Matussek macht mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit deutlich, dass die antisemitische Schrift die „Protokolle der Weisen von Zion“ nicht der Vergangenheit angehört, sondern Gegenwart ist. Eine Gegenwart, die der ehemalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit den Worten bezeichnet hat „Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden“.
Carmen Matussek, Der Glaube an eine „jüdischeWeltverschwörung“, Die Rezeption der "Protokolle der Weisen von Zion" in der arabischen Welt, Reihe: Politikwissenschaft, Band 188, LIT VERLAG, Berlin 2012, broschiert, 144 Seiten, ISBN: 978-3-643-11687-1, ab €19.90
© Soraya Levin