Seit es den Staat Israel gibt, gibt es den Nahostkonflikt. In über 60 Jahren ist man trotz vieler kleiner und bisweilen groß erscheinender Friedensschritte kein Stück weitergekommen. Warum ist dieser Schritt Richtung Frieden aber so schwer?
Der Historiker Moshe Zimmermann, Leiter des Richard-Koebner-Zentrums für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, nährt sich dieser Frage und weiterer normativer Fragen wie die nach der Konfliktverantwortlichkeit und der Frage, ob Israel immer gerechte Kriege geführt hat, indem er den israelischen Standpunkt vom Gefühl der Angst her beleuchtet.
Israel – ein Hemmschuh für den Frieden.
Zimmermanns Erklärungsparadigma für die Konfliktursache und den Hemmschuh für den Frieden im Nahen Osten heißt schlichtweg Israel. Nicht nur das formale Staatsgebilde, sondern die gesamte israelische Gesellschaft zieht Zimmermann zur Verantwortung. Eine Gesellschaft, die sich seit Jahren hinter dem Traumata des Holocaust versteckt und dieses als Ausrede benutzt, um sich dem Frieden zu verweigern. Die Devise der israelischen Gesellschaft lautet: Der neue wehrhafte Jude darf sich nicht wie der Diasporajude zum Opfer machen. Mit jeder Eskalation seitens der Palästinenser verstärkt sich diese Sichtweise des ewigen Opfers, das „immer auf der Hut sein“ muss, ein Opfer, das daher zum Eigenschutz Kriege führen muss.
Nach Zimmermann blendet die israelische Gesellschaft ihre Täterrolle damit völlig aus. Der Holocaust als immer währendes „As“, um letztendlich die widerrechtlich besetzten Gebiete Palästinas zu behalten und die radikale Siedlungspolitik, die im kolonialen Zionismus begründet liegt, fortzuführen.
Terror als Chance gegen den Frieden
Bewusst hält der israelische Staat in der Gesellschaft die Angst vor Terror am Köcheln und gibt die Parole aus „Sicherheit vor Frieden“. Eine Parole, die sich dauerhaft durch willkommene Terroraktionen wie dem 11.09.2001 und Selbstmordattentate nährt und nachhaltige antimuslimische Einstellungen bis zu Pogromen gegenüber Palästinensern vorantreibt. Eine Parole, die zwangsläufig auch die Roadmap scheitern lassen musste. Eine kollektive Angst vor Fremden und hier natürlich vor Arabern und Muslimen schüren zudem die Schulen und die Medien. Begünstigt wird diese Entwicklung durch die ultra-orthodoxen Siedler, die nach Zimmermann Antizionisten sind und die die gesellschaftliche Richtung vorgeben. Die unter dem Schutz des Militärs stehenden Siedler korrumpieren nicht nur durch Geschenke das Militär, sondern unterwandern es auch mit dem Ziel, die Kontrolle über die besetzten Gebiete zu erlangen. Die radikale Siedlungspolitik fördert zwangsläufig die radikal islamische Hamas, die dann wiederum wie bereits die Hisbollah und der Iran bis zum Konstrukt der atomaren Bedrohung herhalten muss.
Israel verschanzt sich bei Kritik von innen und außen hinter dem Antisemitismusvorwurf. Ein Antisemitismus, der bewusst durch das Primat des Jüdischen gefördert wird und der sich mit dem Frieden selbst in Frage stellen würde.
Fazit
Israel - einziger Akteur gegen den Frieden
Zimmermann führt die Angst als Evidenz für das Fehlverhalten Israels an. Ein Fehlverhalten, dass keinen Frieden möglich macht und keinen Frieden zulässt. Die Frage ist aber, ob sein Beweis mit wissenschaftlich angemessener Distanz erfolgt. Man kann sich nicht von dem Eindruck freimachen, dass Zimmermann dieses gerade nicht tut. In dem beleuchteten Konflikt zwischen Juden und Arabern zeichnet Zimmermann ein unilaterales parteiisches Bild zuungunsten der Israelis, die er zum alleinigen Akteur der Friedensverhinderung ausmacht. Statt wissenschaftlicher Sachlichkeit, eine ideologisch stark durchsetzte Replik des ewig schuldigen Juden.
Konstruierte jüdische Geschichte
Für Zimmermann ist ein israelischer Friedenshemmschuh die konstruierte jüdische Geschichte, die den neuen Juden nicht nur als wehrhaft sondern ganz explizit als Opfer darstellt. Wenn Zimmermanns Aussagen stimmen, ist der Zionismus ein reines Konstrukt. Die treibende Kraft wäre demnach nicht der Antisemitismus gewesen, sondern der Kolonialgedanke. Ein Kolonialgedanke, der bis heute mit einer radikalen Siedlungspolitik umgesetzt wird. Nicht unumstritten ist die radikale Siedlungspolitik, nicht unumstritten sind auch die besetzten Gebiete. Unumstritten ist aber, dass die Zionisten nicht die fünfte Kolonne der ehemaligen Kolonialstaaten Palästinas waren.
Mit keinem Wort erwähnt er den Ausgangspunkt der Spannungen zwischen der arabischen und der jüdischen Bevölkerung wie das Sykes-Picot Abkommen von 1916, die Konferenz von San Remo und das damit einhergehende Völkerbundmandat von 1922, das erst zur Umsetzung der Balfour-Deklaration führte. Der UN-Beschluss vom 29.11.1947 bot bereits in der Nachkriegszeit die Chance auf eine Zweistaatenlösung, die jedoch von der arabischen Seite abgelehnt wurde.
Die Shoah als ewiges Alibi
Ein äußerst anrüchiger Geschichtsdeterminismus ist das, wenn Zimmermann behauptet, die Shoah ist eine willkommene Ausrede für eine stetige Opfersituation, die letztlich entsprechende Zwangsmaßnahmen gegen die Palästinenser und gegen die arabischen Nachbarstaaten rechtfertigen.
Damit diskutiert er nicht kontrovers Menschenrechtsverletzungen, sondern stigmatisiert die Israelis zum Täter und universalisiert die Shoah. Geht man von der normativen Theorie der gerechten Kriegsführung aus, so handelt es sich demnach nicht bei allen Kriegen Israels um sogenannte „gerechte Kriege“, da nicht alle Faktoren der Theorie anwendbar sind. Der erste israelische Krieg war jedoch ein reiner Verteidigungskrieg, da die arabischen Nachbarn den gerade neu gegründeten Staat überfielen. Bei den folgenden Kriegen ging eine eindeutige Bedrohung des Staates Israel voraus. Den traditionellen Kriegsgrund, der allen anderen Staaten zugestanden wird, nämlich eine Bedrohung seiner Staatsbürger abzuwenden, spricht Zimmermann den Israelis ab. Statt eine vermeintliche Schutzpflicht vorzuschieben, sollten sie den Palästinensern und Arabern lieber Vertrauen schenken. Stattdessen halten laut Zimmermann die Israelis die Bedrohungssituation am Köcheln, was ihnen dank der Terrorangriffe der Hamas, dank des Atomprogramms des Iran und dank solcher – wie Zimmermann sagt als „Glücksfall“ zu betrachtenden Ereignisse wie dem 11. September 2001 gut gelingt. Fakten werden von Zimmermann schlicht weg ignoriert. Ahmadenidschad, der den Holocaust für einen Mythos hält, der den Staat Israel ebenso wie die Hamas vernichtet sehen will. Zimmermann bestätigt zwar den Terror der Hamas. Relativiert ihn aber gleichzeitig, indem er behauptet, die Terrorgruppe habe keine andere Möglichkeit des Widerstands. Wo bleibt hier bitte die Reflexion, die kritisch-kontroverse Sicht?
Ziel der Hamas
Hier klammert er das Ziel der Hamas völlig aus. Nämlich die Vernichtung des Staates Israel. Ein Frieden mit der Hamas ist durch entgegengebrachtes Vertrauen bislang kaum zu erreichen. Denn die Hamas lehnt weiterhin die Osloer-Verträge ab, hat sogar mit der gewaltsamen Übernahme von Gaza im Jahr 2007 einen innerpalästinensischen Konflikt heraufbeschworen. Die Palästinenser werden nun durch zwei Regierungen vertreten. Es ist sachlich nicht richtig, den Israelis an dieser Stelle vorzuwerfen, sie blockieren den Friedensprozess, da sie nur mit einer Regierung reden wollen, da sie im Vorfeld verlangen, dass die Hamas dem Terror abschwört. Nach Zimmermann ein weiteres Alibi für die Friedensblockade und für ein Scheitern der Roadmap. Hier hätte Zimmermann die Roadmap etwas genauer studieren sollen. Sein Vorwurf an Israel ist hier schwer nachzuvollziehen. Denn die Roadmap verlangt einen bedingungslosen Gewaltverzicht, der auch die Einstellung jedweder finanzieller Unterstützung von Terror durch Drittstaaten beinhaltet. Zu nennen wären an dieser Stelle eindeutig Syrien und der Iran.
Antisemitismus als Stütze gegen den Frieden
Was für Evidenzen liefert Zimmermann da eigentlich, wenn er argumentiert, Israel tut alles, um den Antisemitismus am Leben zu halten. Denn er ist der Garant, dass es keinen Frieden gibt. Hier fehlt die Reflexion, denn Antisemitismus bestand schon vor der Staatsgründung Israels und besteht unabhängig vom Staat Israel. Zu vermuten, dass der Antisemitismus verschwindet, wenn Israel den Arabern gegenüber wohlgesonnen ist, die besetzten Gebiete zurückgibt und das Palästinenserproblem gelöst ist, ist abwegig, denn der Nahostkonflikt bietet lediglich eine weitere Zündschnur für den Antisemitismus.
Primat des Jüdischen
Eine weitere Bedrohung für den Frieden ist für Zimmermann das Primat des Jüdischen. Israel ist aber nicht nur ein israelischer Staat, sondern auch ein jüdischer. Wenn Zimmermann die Einbürgerungspraxis anprangert, ein jüdischer Großvater reicht als Beleg aus, um israelischer Staatsbürger zu werden, dann muss er auch kontrovers die weltweit einmalige Vererbbarkeit des Palästinenserflüchtlingsstatus diskutieren. Es reicht wissenschaftlich nicht aus zu behaupten, ich blicke als Israeli auf den Nahostkonflikt und nicht als Palästinenser.
Auch wenn hier ein israelischer Historiker spricht, sind seine Evidenzen und Erklärungsparadigmen nicht vorbehaltlos hinzunehmen. Was anfänglich nach Verständigung aussieht, präsentiert sich am Ende mit unpräzisen Argumentationsketten, wenig kritischer Distanz und ideologisch stark pro-palästinensisch durchsetzt. Seine scharfen Attacken gegen Israel sind gespickt mit subtilen anti-israelischen Stereotypen und anrüchig nah in der Allianz mit zionistischen und sekundären Antisemiten.
Die Angst vor dem Frieden verspricht im Vorfeld mehr Erkenntnisgewinn als am Ende bei raus kommt. Es ist dennoch für all diejenigen, die die kontrovers geführte Nahostdebatte sachgemäß und redlich reflektieren möchten, ein wichtiger Beitrag.
Moshe Zimmermann, Die Angst vor dem Frieden, Das israelische Dilemma, Broschur, 160 Seiten, Aufbau Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-351-02717-9, 14,95 € / 26,90 Sfr
© Soraya Levin