«Tod dem Diktator!», Rufe dieser Tage aus Teheran. Der Verdacht der Wahlfälschung der Mitte Juni erfolgten Wahl offenbart sich als Ventil einer zunehmend unzufriedenen iranischen Bevölkerung. Und der Präsident Amadenishad tritt in die Fußstapfen des Schahs und bekämpft sein eigenes Volk. 
Jetzt ist genau die Zeit der iranischen Schriftstellerin Siba Shakib, die mit ihrer Geschichte über Eskandar den Zeitgeist trifft. Sie erzählt den Kampf der Iraner, gefangen zwischen Tradition und Moderne und der Sehnsucht nach Freiheit.

Er ist 9 Jahre als er das erste Mal über die Grenzen seines Dorfes hinausblickt. Hinter dem Berg sind Fremde, die im Jahr 1908 im Iran nach Erdöl suchen. Fremde, die so anders aussehen mit ihren hellen Haaren, die so anders sprechen, die so reich sind, dass sie sogar ihre Hunde verwöhnen.

Die Bewohner in Eskandars Dorf sind Leibeigene, wissen nichts von einer Welt außerhalb ihrer dörflichen Grenze, arbeiten hart, können nicht lesen und schreiben, die Frauen werden unterdrückt und erniedrigt, sind rechtlos, werden schon als Mädchen zwangsverheiratet, bekommen ihre Kinder zwischen der Feldarbeit, die Mullahs halten die Bewohner in Schach und der Fluss ist plötzlich ausgetrocknet. Der Boden vertrocknet, sie dursten, sie hungern, sie sterben vor Schwäche. Der Aberglaube der Dorfbewohner macht es dem Mullah leicht, von Gottes Strafe zu sprechen und so zu verschleiern, dass der Fluss nur deswegen ausgetrocknet ist, weil der Landbesitzer ihn aus Geldgier für die Ausländer umgeleitet hat. Als die Bewohner erfahren, dass der Fluss nicht durch Gottes Hand verdörrt ist, wagen sie es, den Feudalherren zur Rede zu stellen. Seitdem werden sie vermisst.

Eskandar, der seine Eltern früh verliert, wird von einem kanadischen Ingenieur als Zögling angenommen. Er verrichtet einfache Arbeiten im Camp, zeigt sich wiss- und lernbegierig und schon bald schickt ihn der Kanadier zu einem Mullah in die Schule. Das Land, in dem Eskandar aufwächst, ist voller Gegensätze. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wird es von britischen und russischen Hegemonieansprüchen teilweise zersetzt. Bürgerkriege spalten über Jahre den Iran. Der Versuch, eine Demokratie zu etablieren, scheitert. Mit Reza Schah Pahlavi, der sich an die Macht putscht, beginnt sich der Iran in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zu modernisieren. Ungeachtet der Tradition und Religion wird ein knallharter säkularer Weg beschritten.

Eskandar ist mittlerweile zu einem jungen Mann herangereift, hat geheiratet und geht mit seiner Frau 1941 nach Teheran. Westliche Kleidung dominiert das städtische Bild, mit aller Härte wird das Schleierverbot umgesetzt. Es trifft auch Eskandars Frau, die sich vor Enttäuschung nun gegen das System und den modernen Weg stellt. Während die Briten den Schah zwingen, zu Gunsten seines Sohnes abzudanken, während Dr. Mossadegh zum Präsidenten gewählt wird, während der Schah zur Flucht gezwungen wird, während Mossadegh die britische Erdölindustrie verstaatlicht und die Briten am liebsten aus dem Land jagen möchte, wird Eskandar Übersetzer im Büro von Mossadegh, lernt seine Frau lesen und schreiben, wird seine Frau Lehrerin, werden beide von den Widersachern Mossadeghs verfolgt und geprügelt. Die Erdölfrage beherrscht weiterhin die Politik. Die Briten unterstützen die Kommunisten, um Mossadegh zu beseitigen, die Amerikaner unterstützen den Schah und putschen ihn zurück an die Macht und Eskandars Frau? Sie kommt bei einer Demo ums Leben. Und wieder die Erdölfrage. Die Verstaatlichung der Erdölindustrie wird zurückgenommen, der amerikanische und europäische Einfluss verstärkt sich nun weiter. 

Oppositionelle und Regimekritiker werden von dem neu gegründeten Geheimdienst SAVAK hinweggefegt. Auch Eskandar, der unterdessen wieder geheiratet hat, gerät mit seiner Familie in das Visier des Geheimdienstes. Seine Tochter Sarah schließt sich der oppositionellen Nationalen Front an, schreibt Artikel gegen das Regime, wird gefoltert und hingerichtet.

Mit der Weißen Revolution leitet der Schah nicht nur eine Bodenreform ein, die das Feudalsystem beseitigt, sondern er bringt auch die Geistlichkeit gegen sich auf. Mit den Verhaftungen der Religionsführer kommt es in der Bevölkerung zu Unruhen und Demonstrationen gegen den Schah. Die neue Hoffnung der Iraner heißt Ajatollah Khomeini, der nach seiner Rückkehr aus dem Exil mit dem Ausruf der islamischen Republik die Modernisierung zurückdreht. Sein Appell „Erzeugt Flüsse des Blutes.“ führt wie auch schon unter dem Schah, zur Gewalt gegen Andersdenkende, zur gnadenlosen Abrechnung mit der Opposition und zur feindlichen Projektion gegen alles, was westlich ist.

Der Lichtblick auf ein Stück Demokratie hat wieder mal aufgehört zu leuchten. Doch für Eskandar ist das Vertrauen in die Zukunft noch nicht ganz verloren. „Solange es in unserem Land und in der Welt Menschen gibt, die nur leben können, wenn ihr Leben in Freiheit ist, gibt es Hoffnung,...“.
Im Jahr 2009 sind die Iraner immer noch weit von ihrer Sehnsucht nach Freiheit entfernt. Die islamische Republik hat sich als Potemkinsches Dorf entpuppt, denn an die Stelle der republikanischen Freiheit und Gerechtigkeit ist der sanktionierende Gottesstaat getreten, der alle Lebensbereiche islamisiert hat. Die sich auf ihrem Weg in die Moderne befundene iranische Gesellschaft hat den Rückzug ins Mittelalter angetreten. Begünstigt durch die Ausbeutungstendenzen der Westmächte gelang es den religiösen Führern, die Menschen für sich einzunehmen. Statt weltlicher Gerichte nun wieder die religiöse Zuchtrute und die kompromisslose Geißel der Scharia. Statt Gleichberechtigung, die Unterdrückung der „wertlosen“ Frau. Statt einer wirtschaftlichen Entwicklung herrscht Misswirtschaft, statt politische Lösungen anzubieten, setzt die Regierung lieber auf Antisemitismus und auf die Projektion westlicher Feindbilder. Diese schrecken selbst vor der Leugnung des Völkermordes an den Juden nicht zurück und katapultieren das Land international immer mehr ins Abseits. Nur Hass macht nicht satt und ist kein Anbauprodukt für Freiheit und Selbstbestimmung. So greifen viele Iraner - wie seit Jahrhunderten – zu allem, was nach Hoffnung aussieht. Das ist es, was einem Reformer wie Mir Hossein Moussavi Zulauf bringt. Die lauten Proteste der Moussavi Anhänger gegen die vermutete Wahlfälschung werden jedoch brutal erstickt. Staatlich enthemmte Gewalt als Einschüchterung der Opposition. Ahmadinedschad auf dem Weg in die Diktatur. Und wieder ruft das Volk «Tod dem Diktator!».

Siba Shakib zeichnet mit ihrem Protagonisten Eskandar ein unterhaltsames zeithistorisches Bild des Iran, gefangen im Spiel der Machthaber.

Siba Shakib, Eskandar, gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 512 Seiten, C. Bertelsmann Verlag, München Juni 2009, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 19,95 [D] / 20,60 [A] / CHF 34,90 (UVP), ISBN 978-3-570-00968-0

© Soraya Levin