Wer den Namen Deutsche Bank hört, verbindet sofort eine der größten, international tätigen Bankinstitute damit. Wer den Namen Oscar Wassermann hört, verbindet gegebenenfalls gar nichts damit. Dabei ist der Name des jüdischen Bankiers augenfällig mit der Geschichte der Deutschen Bank und stellvertretend mit der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands und ihrem Beitrag zur ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung Deutschlands verbunden.
Das bis zum Jahr 2000 verschollene Gästebuch von Oscar Wassermann zeugt, wie der Schriftsteller Gabriel Berger im Vorwort des von Nea Weissberg herausgegebenen Gästebuches vermerkt, von der Verwurzelung Wassermanns in der deutschen Kultur.
Oscar Wassermann ist in der Zwischenkriegszeit nach dem Ersten Weltkrieg von 1923 bis 1933 Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Es ist ein hartes Stück Arbeit, in den vom Sturm bewegten Zeiten zu helfen, die deutsche Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Zumal die Weltwirtschaftskrise von 1929 und die folgende Bankenkrise die Wirtschaft gewaltig durchrütteln.
Mit der Machtübergabe an Adolf Hitler ist die Atemluft für Juden extrem dünn. Es spielt keine Rolle, welche Leistung die jüdischen Bürger für das Land erbracht haben. Die Deutsche Bank passt sich der unmenschlichen nationalsozialistischen Diktatur an und grenzt ihre jüdischen Beschäftigten aus. 1933 verliert Oscar Wassermann seinen Posten und seine berufliche erfolgreiche Laufbahn ist mit einem Schlag beendet. Mit der Ausgrenzung, der Verfolgung und der Ermordung der Juden verschwinden sie dauerhaft aus dem Wahrnehmungshorizont der Bevölkerung.
Die Verlegerin Nea Weissberg holt mit der Veröffentlichung des Gästebuches die jüdischen Leistungsträger wieder in das Sichtfeld.
Es ist ein auserlesenes historisches Zeitdokument, das der Historiker Dr. phil. Sebastian Panwitz analysiert hat. Auf 146 Seiten liest es sich wie das Who’s Who der renommierten Personen, die in der Zeit von 1923 bis 1931 zu Gast im Hause Wassermanns in der Tiergartenstraße 8d in Berlin sind. Die Gästeliste ist ergänzt durch Abbildungen des Gästebuchs, Bilder der Familie Wassermann, biografischer Bildnisse sowie einer biografischen Einleitung und Porträtfotos der Besucher und handschriftliche Abdrucke.
Im Hause Wassermann geben sich bei Empfängen, Konzerten und Dinners die 650 Gäste der politischen, ökonomischen, medizinischen, juristischen, journalistischen und künstlerischen High Society die Klinke in die Hand. Es sind jüdische Deutsche, nicht-jüdische Deutsche sowie internationale Gäste, die in der Tiergartenstraße 8d einkehren.
Es begegnen uns auf der Gästeliste angesehene gesellschaftliche jüdische Bankiers wie Franz von Mendelssohn, die die Geld- und Finanzbranche der Zeit entscheidend mit beeinflussen.
Mit Rudolf Hilferding taucht einer der signifikantesten politischen Vertreter der Wirtschaft im Hause Wassermanns auf. Unter Gustav Stresemann ist er Reichsfinanzminister. Seine Laufbahn endet mit der Flucht und der Auslieferung an die Gestapo.
Geladen ist Hermann Müller. Der ehemalige Außenminister und Mitunterzeichner des Versailler Friedensvertrages ist der letzte sozialdemokratische Reichskanzler der Weimarer Republik.
Einer der Besucher ist Chaim Weizmann. Zionist, Universalgelehrter und der erste Staatspräsident Israels, der früh erkennt, dass die Juden eine Heimat und kein Asyl benötigen.
Weitere Gelehrte wie einer der bedeutendsten Wissenschaftler und der Erfinder der Relativitätstheorie und der Nobelpreisträger für Physik namens Albert Einstein sind zu Besuch im Hause Wassermanns. Trotz seiner international anerkannten Leistungen ist Einstein zur Flucht gezwungen und migriert in die USA.
Neben den Finanziers, Ökonomen, Unternehmern und Politikern sind es die Künstler, zu denen Wassermann Kontakte pflegt.
Häufig zu Besuch ist der berühmteste jüdische und deutsche Theaterkritiker der Weimarer Republik Alfred Kerr, den Hitler-Deutschland zur Flucht ins Exil zwingt. Dessen Bücher mit Essays und Gedichten im Feuer landen. Ein Avangardist, der als Mitherausgeber der Berliner Zeitschrift für Literatur und Kunst genannt PAN aufstrebenden modernen Künstlern eine Plattform bietet.
Ein ebenso gern gesehener Gast ist der jüdische Journalist Theodor Wolff, bekannt durch seinen Bericht über die Dreyfus-Affäre, der Chefredakteur des Berliner Tageblatts ist. Die Gedanken des Wegbereiters der Theatermoderne und des Mitbegründers der freien Bühne Berlin landen 1933 ebenfalls im Feuer. Er flieht vor den Nazis, die Gestapo verschleppt ihn und er endet im KZ-Sachsenhausen.
Berühmtheiten wie die italienische Opernsängerin Mafalda Salvatini sind ebenso auf dem Parkett anzutreffen wie reputable Wissenschaftler vom Orientalisten und Archäologen wie Max Freiherr von Oppenheim, der unsagbare Schätze zur Ausstellung nach Berlin bringt. Oder Robert Zahn, der die Katalogsammlungen für antiken Goldschmuck in Berlin und für das Metropolitan Museum of Art in New York mit vorbereitet. Sie tauschen sich aus mit Soziologen wie Franz Oppenheimer, Mitbegründer der deutschen Gesellschaft für Soziologie, der in Deutschland den ersten Lehrstuhl für Soziologie erhält und mit dem renommiertesten Kunstkenner und Berliner Museumsdirektor Max Friedländer, dessen Expertise ihn vor Auschwitz schützt.
Einst gern gewesene nicht-jüdische Gäste stoßen Wassermann mit dem Beginn der NS-Zeit vor den Kopf. Es sind elitäre Personen, die die Nazi-Diktatur stützen und sich gegebenenfalls vor den Nürnberger Prozessen zu verantworten haben. Zu erwähnen ist an dieser Stelle Hjalmar Schacht, der vor der Machtübergabe Hitlers Präsident der Reichsbank ist. Unter den Nazis tritt er in die Partei ein und setzt diese Tätigkeit fort. Ab 1934 ist er für drei Jahre Reichswirtschaftsminister.
Wiederholt zu Gast ist der Diplomat Fritz Schönberg, der ab dem Jahr 1939 Generalkonsul in Thessaloniki ist und sich in dieser beruflichen Stellung an der Deportation von Juden nach Auschwitz beteiligt. Mit am Tisch sitzt der Dirigent, Komponist und Theaterintendant Max Schilling, der mit der Hitler-Diktatur der Nazi-Partei beitritt und zum Denunzianten mutiert.
Oscar Wassermanns Gästebuch ist mehr wie ein dokumentierter Sammelort für die Besucher in seinem Haus. Das Artefakt ist ein denkwürdiges Dokument der Zeitgeschichte, das die sozial-historische Relevanz jüdischen Lebens in Deutschland während der Weimarer Republik aufzeigt. Die illustren Gäste weisen auf die politische Gleichstellung und auf ein geistiges Band zwischen Juden und Nicht-Juden hin. Es ist ein Beleg für die gesellschaftlichen jüdischen Akteure, die ihren hochkarätigen Beitrag für die Entwicklung der deutschen Gesellschaft in der Bildung, Wissenschaft, Medizin, Kultur, Politik, Jurisprudenz, Ökonomie leisten. Diese Leistungsvielfalt trägt zu den Veränderungsprozessen raus aus dem wilhelminischen Kaiserreich in die liberale Demokratie bei. Das Gästebuch weist ebenso auf die Anpassungsfähigkeit der Juden hin. Als jüdische deutsche Minderheit mit noch nicht mal 1 % Anteil an der Gesamtbevölkerung begreift sie sich nicht fremd und sie ist nicht fremd. Dieses ist sichtbar an der Haltung Oscar Wassermanns, der den Zionismus unter dem Gesichtspunkt der jüdischen Identität unterstützt.
Die radikale Wende der jüdisch-deutschen Identität mit dem Nationalsozialismus ist anhand einzelner Gäste deutlich sichtbar. Mit dem erstarkenden Antisemitismus wechseln sie die Seiten. Sie unterstützen massiv die Ausgrenzung von Juden wie auch im Fall von Oscar Wassermann, der aus der Deutschen Bank und im Anschluss aus dem gesellschaftlichen und ökonomischen Leben ausgegrenzt ist.
Das Artefakt zeigt, dass die Deutsche Bank zu einem nationalsozialistischen Instrument verkommt, indem sie die ehemals verdienten jüdischen Beschäftigten hinausdrängt. Damit ist nicht nur die berufliche Heimat, sondern das kulturelle Heimatland zurückgelassen und verloren.
Die skrupellosen Konfiszierungen des Vermögens und der Unternehmen verdienter traditioneller Firmengründer und Unternehmerfamilien sind im Gästebuch anhand der kurzbiografischen Daten bei der Auflistung der Gästenamen sichtbar, die mit dem Begriff Zwangsverkauf verbunden sind.
Die verbrecherische Agitation der Nationalsozialisten zwingt diesen einflussreichen Teil der deutschen Kultur, der deutschen Entwicklung und des deutschen Wachstums ihre Heimat in unterschiedliche Richtungen wie Argentinien, Frankreich, USA, Schweiz, Brasilien und Palästina zu verlassen.
Ihre herausragenden Leistungen geraten nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit und bleiben nebulös und unartikuliert. Der Autor Gabriel Berger schreibt im Vorwort, dass es an der »deutschen Scham und Schuldabwehr nach dem Holocaust« liegt. Das Wort »Jude« auszusprechen, fällt schwer, sagt Berger.
Vereinzelt besinnen sich die Deutschen auf ihre beispiellosen Leistungsträger. Die jährliche Preisauszeichnung für einen qualitativ hochwertigen Journalismus ist nach Theodor Wolff benannt.
Das Gästebuch des jüdischen Bankiers Oscar Wassermann bietet die Chance, das gesellschaftliche Konstrukt des Stillschweigens über die jüdischen Identitäten zu beenden. Sie ins Gedächtnis und in die Erinnerung zu holen, trägt zum Bewusstsein der deutsch-jüdischen kulturellen Identität bei. Diese sozio-kulturelle Reflexion über die Wechselbeziehung zwischen dem nicht-jüdischen und jüdischen Miteinander, über die jüdische Identität und ihre Anpassungsinstrumente sowie über den Prozess des Zivilisationsbruches, der im Holocaust endet, bildet die Basis für ein neues Bewusstsein eines Gesellschaftsbildes, das insbesondere vor dem derzeitigen Wiedererstarken des Antisemitismus im sozialen Gedächtnis verankert ist.
Nea Weissberg (Hrsg.), Gästebuch des jüdischen Bankiers Oscar Wassermann,Vorstandssprecher der Deutschen Bank 1923-1933, Biographische Beiträge Sebastian Panwitz, Lichtig-Verlag, Berlin 2023, 146 Seiten, ISBN: 978-3-929905-45-8, EUR 30,00
© Soraya Levin