Glaube ohne Denkverbote. Für eine humane Religion. Bereits der Titel stellt religiöse Orientierungssysteme in ihrer jetzigen Form in Frage. Denn er weist auf eins hin: Bevormundung und Unterdrückung. Der katholische Theologe Gotthold Hasenhüttl entkernt die Intoleranz der monotheistischen Offenbarungsreligionen und zeigt, dass ihre handlungsleitenden Maximen zum „Eichmanngehorsam“ führen.
Alle drei monotheistischen Religionen, das Judentum, das Christentum und der Islam, sehen Gott auf der einen und den Menschen auf der anderen Seite. Dieser fesselnde Dualismus duldet kein Anzweifeln religiöser Wahrheiten. Die gedankliche Freiheit und freie Verhaltensweisen werden dogmatisch erstickt. Erstickt von religiösen Autoritäten, die sich der eigenen Allmacht wegen zu Gottes Offenbarungsinkarnation erheben.
Gottes Offenbarung wird von den religiösen Führern zu einer Gehorsamsverpflichtung uminterpretiert, die im Prinzip der Unfreiheit mündet. Zur Richtschnur des eigenen moralischen Handelns wird ein in seiner Bedeutung verändertes Symbolsystem von Geboten und Sakramenten. „Es ist absurd, Gott gegenüber Symbolhandlungen zu vollziehen, damit er nicht eingeschnappt ist.“ Es bedingt Ausgrenzung und bringt die Quelle der geistigen Autonomie und der eigenen Lebensorientierung zum Versiegen.
Die Religion hat sich gegen den Menschen gewandt. Der Lebenssinn reduziert sich auf die Befolgung göttlicher Moral, deren Belohnung ins Jenseits projiziert wird. Das Leben im Jetzt wird zu einer bedeutungslosen Nebensächlichkeit, mit der Folge einer legitimierten Unmenschlichkeit, die im Extremen in einen religiösen Radikalisierungsprozess mündet.
Der Zölibat in der katholischen Kirche führt zur Vergewaltigung der anthropologischen Sexualkonstante und mündet oftmals im sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener. Mit der Aufrechterhaltung einer genderfeindlichen Haltung wird die Frau als minderwertig und schädlich gebrandmarkt. Diese menschenverachtende Haltung bürgt für den Bestand der patriarchalischen Struktur.
Die religiösen Autoritäten nehmen Gott als Steigbügelhalter und Garant zur Festigung und Aufrechterhaltung ihrer Macht. Um die Kritik von vornherein einzudämmen, wirken Hemmschuhe wie Schuld und Gottes Strafe, Erlösung von der Erbsünde und die Jenseitserwartung.
Wagen sich Kritiker dennoch an den von den Machtinstitutionen etablierten religiösen Wahrheiten heran, werden sie seit Jahrhunderten beseitigt. Von Sokrates, über Jesus bis zum Autor selbst, der als Priester von der katholischen Kirche suspendiert worden ist und zudem als Theologieprofessor seine Lehrerlaubnis verloren hat. Und das in einem säkularisierten demokratischen Land.
Diese von Menschen und nicht von Gott institutionalisierte Macht zeigt sich symbolträchtig in Form von religiösen Bauten und teilweise gigantischen Kirchenevents.
Indem die religiösen Machteliten Gott Attribute wie strafend, zornig, rachsüchtig andichten, degradieren sie ihn selbst zum Gottlosen, der als Alibi für jede ehrbare und schändliche Tat herhalten muss. Menschliche Verantwortung und verstandesmäßige Freiheit sind auf Gott übergegangen. Für Hasenhüttl ist damit dem Menschen die wichtigste göttliche Quelle, nämlich die Liebe und Nächstenliebe, entzogen. Diese göttliche Quelle bedarf keiner systemimmanenten, in ihrer Auslebung faschistischen Religion. Nach Hasenhüttl ist Jesus damit kein Religionsbegründer, da er sich auf kein System berufen hat. Das Christentum als Religion existiert dementsprechend nicht.
Religiöse Schriften wie die Bibel sind keine Offenbarung, sondern bieten einen Erfahrungszugang zum menschlichen Miteinander, der die eigene Lebenserfahrung begleiten kann.
Hasenhüttls Religionskritik richtet sich gegen den Missbrauch von Gott durch eine repressive religiöse Elite, die für sich die absolute göttliche Transzendenz zwecks eigener Machtsicherung beansprucht. In Hasenhüttls kritischer Reflexion finden sich Gedanken aus Ludwig Feuerbachs Abhandlung „Das Wesen des Christentums“ sowie existentialistische Gedanken wieder.
Nur der eigenverantwortliche Mensch in Freiheit kann der Ausgangspunkt für die zwischenmenschliche Liebe sein. Hasenhüttls Fundamentalkritik an den Offenbarungsreligionen, die von „Eichmanngehorsam“ und einer faschistischen Religion spricht, ist durchaus berechtigt. Denn Faschismus tut nichts anderes, wie demokratische Grundlagen abzulehnen und den freien Geist in die Knie zu zwingen. Der Mensch im Dauerarrest einer totalitären Unterjochung. In diesem Fall der totalen religiösen Unterjochung, die sich einerseits im Dualismus begründet, andererseits in den Sakramenten und einer Jenseitsorientierung, die die zwischenmenschliche Liebe und Würde des Menschen ins Jenseits projiziert. Es bedeutet das Ende der christlichen Ethik.
Hasenhüttls Kritik verliert sich zwar auf vielen Seiten in Wiederholungen und ist in Bezug auf seinen persönlichen Lebensweg nicht nur eine Kritik an den Offenbarungsreligionen, sondern eine katholische Kirchenkritik.
Sein Standpunkt regt zum eigenverantwortlichen Nachdenken über den heuchlerischen Sinn und Zweck religiöser Institutionen an. Die vermeintliche Unreformierbarkeit nichtdemokratischer religiöser Institutionen wird von vielen Gläubigen widerstandslos akzeptiert. Hasenhüttl fordert genau an dieser Stelle ein Umdenken. Ein derartig menschenverachtendes Orientierungssystem lässt sich seiner Meinung nach nur dann auflösen, wenn die religiösen Eliten ihren universalen Wahrheitsanspruch ablegen. Wenn sie bereit sind, sich nicht als Gottes Inkarnation zu sehen, wenn sie den Menschen und Gott nicht gegeneinander stellen, wenn sie ihre ideologisch durchsetzten Institutionen nach innen und nach außen demokratisieren.
Gotthold Hasenhüttl, Glaube ohne Denkverbote, Für eine humane Religion, 238 S. mit Bibliogr., Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 2012 Lambert Schneider Verlag, Darmstadt, ISBN 978-3-650-25163-3, WBG-Preis EUR 19,90 ,Buchhandelspreis EUR 24,90
© Soraya Levin