Kaum ein Tag, an dem Al-Qaida die Welt nicht mit ihrem Terror überrollt. Die Krieger fast ausschließlich Islamisten und Muslime, deren Kampf gegen die Ungläubigen, gegen den Westen gerichtet ist. Ein Kampf, der mit Hilfe des Korans geführt wird. Die Koransuren als Aufforderung oder Alibi für Terror? „Man kann den Koran nicht begreifen, wenn man Mohammad nicht begreift.“ sagt Zayd ibn Salith in Kader Abdolahs Roman „Mohammad, der Prophet“.
Wer ist dieser Mohammad, dessen Name zunächst einer unter vielen ist. Mit Zayd ibn Salith, dem Adoptivsohn und Chronisten von Mohammad, begeben wir uns auf die Reise durch das Leben des Propheten. Eine Reise, die Station macht bei seinen Gefolgsleuten, seinen Rivalen aber auch bei seinen Erzfeinden.
Mohammad wird um das Jahr 570 n. Chr. in der Stadt Mekka geboren. Er hütet die Ziegen und bekommt noch nicht sehr viel mit von dem regen Handel im Zentrum von Mekka. Das ändert sich als ihn sein Onkel Talib nach dem Tod seiner Eltern zu sich nimmt. Talib ist Kaufmann und schon früh bindet er Mohammad in das Marktgeschehen ein. Ein buntes Treiben, das sich da jeden Freitag auf dem Markt abspielt. Unzählige Händler, die Waren aus den exotischsten Ländern anbieten, Dichter, die ihre Verse lautstark rezitieren. Mohammad ist begeistert, vor allem von der Poesie. Inmitten des Bunten die Kaaba, die göttliche Stätte der Götzenanbeter Mekkas. Die Händler des Marktes schätzen Mohammads Fleiß und seine Zuverlässigkeit. Als er die weitaus ältere und reiche, christliche Kaufmannswitwe Chadidcha heiratet, steigt nicht nur sein Ansehen. Durch sie lernt er lesen, lernt er die Bibel verstehen, genießt er ein sorgenfreies Leben im Wohlstand. Er beginnt zu reisen, kehrt Mekka wochenlang den Rücken und begleitet die großen Karawanen der Kaufleute. In den Herbergen an den Karawanenstraßen trifft Mohammad auf ein Kaleidoskop unterschiedlichster Kulturen und Glaubensrichtungen. Ein Kaleidoskop durch das ihm die Bewegungslosigkeit von Mekka bewusst wird. Eine Bewegungslosigkeit mit vorsintflutlichen Ritualen wie der Götzenanbetung, mit der Unterdrückung der Frau und der Sklaven. Er diskutiert mit den Händlern über die Bibel und die Thora und stellt fest, dass sein Mekka immer wieder ein Schritt zurück in die Vergangenheit ist. Die Reisen verändern Mohammad. Seine Geschäfte sind ihm nicht mehr wichtig. Statt zu arbeiten, zieht er sich für Wochen in die Einsamkeit einer Höhle zurück, sitzt in der Stille, meditiert und so real greifbar wird die Vision von nur einem Gott „Allah“, der ihn zu seinem Propheten ernennt. Von nun an tritt er den Bewohnern von Mekka als Mahner entgegen. Sie sollen an einen Gott, Allah den Allmächtigen, glauben und ihrer Vielgötterei abschwören. Als die Bewohner von Mekka ein Zeichen für das Allmächtige von Allah einfordern sagt Mohammad „Ich brauche keinen Beweis“, ... Ich selbst bin der Beweis.“
Seine göttliche Botschaft, die er zunächst an die Gutbetuchten der Stadt richtet, stößt bald auf Unmut. Die Bewohner sind aufgebracht, es kommt zur offenen Feindschaft. Seine Fürsprecher sucht er nun unter den Verlierern der Gesellschaft wie den Armen, den Sklaven und
den Frauen. Was zunächst nur mit einem wortgewaltigen Säbelrasseln begann, entwickelt sich zu blutigen Straßenkämpfen. Mohammad wird mit seinen Leuten vertrieben. In Yathrib, dem späteren Medina, findet er eine Zuflucht. Hier geht die Frucht des Islam auf. Hier wird Mohammad als Prophet verehrt, hier laufen ihm die Frauen nach, hier wird er zum Lebemann und frönt ausgiebig den sexuellen und alkoholischen Genüssen. Für die Finanzierung einer Moschee baut er sich ein Söldnerheer auf. Der Gewinn ist neben dem Beuteanteil bei Tod das Paradies, das ganz wie die Gärten von Yathrib aussieht. Mohammad fürchtet aber auf Dauer um seinen Erfolg. Er muss die Juden für sich und sein Ziel, den Allmächtigkeitsanspruch, gewinnen. Dafür betet er sogar für eine kurze Zeit Richtung Jerusalem. Doch sein Plan geht nicht auf. Er wird nicht als ihr Prophet anerkannt. Das legitimierte Töten bekommt in dieser Situation Aufwind. Der Widerstand der Juden – für Mohammad nur durch brutales Rauben, Plündern, Verjagen und Töten – zu brechen. Und auch seinen Feinden in Mekka ergeht es nicht besser. Er lockt sie in einen Hinterhalt, mit List und Tücke heiratet er die Tochter seines Erzfeindes und schließt mit den Gegnern einen vermeintlichen Friedensvertrag. Als die Feinde von einst sich in Sicherheit wiegen, bricht Mohammad den Vertrag, erobert die Stadt Mekka und mit ihr die heilige Kaaba, zerstört und vernichtet nicht nur die Götzenbilder, sondern auch seine Gegner. Gegner, dass sind zukünftig alle, die sich nicht zum Islam bekennen.
Im Jahr 632 n. Chr. stirbt Mohammad. Sein Chronist beginnt den Koran aufzuzeichnen.
Kader Abdolah öffnet mit seinem Roman „Mohammad, der Prophet“ einen verständlichen Zugang zum Koran. Wer den Islam interpretieren will, muss Mohammad verstehen. An zahlreichen Beispielen zeigt Abdolah, dass die Suren je nach Mohammads Lebenssituation gestaltet sind.
Da liegt das alte polytheistische Handelszentrum Mekka eingebettet zwischen den großen monotheistischen Reichen der Byzantiner und der Perser. Auf seinen Handelsreisen trifft Mohammads einfaches Weltbild auf ein kosmopolitisches. Seine aus Mekka stammende Weltsicht wird entwurzelt, er verliert die Orientierung und sucht den Halt in der Spiritualität. Mal erliegt er den Versuchungen der vielen Frauen und findet nichts gegen die Vielweiberei, mal fühlt er sich von seiner Lieblingsfrau betrogen und möchte ihre Anmut hinter Stoff verbergen, mal fürchtet er um seinen Glaubenserfolg. Hieraus entwickelt sich ein Wettstreit des einzig wahren Glaubens.
Der damit gestellte Universalanspruch erlaubt aber keine widerstreitende Glaubensansicht. Gewalt wird somit göttlich legitimiert. Die Vernichtung der Juden und Andersgläubiger damit akzeptiert.
Die immerwährende Suche nach der Wahrheit hat zu allen Zeiten Propheten hervorgebracht, deren Wahrheit und Überzeugung in die Welt hinausgetragen wurde. Ein Tauziehen um eine Wahrheit, die aber lediglich zum Dialog aufrufen sollte und nicht zur Pflicht werden darf. Denn Gott ist kein zu instrumentalisierender Grenzgänger, sondern für alle Glaubensrichtungen eine Wahrheit.
Kader Abdolah, Mohammad, der Prophet, eine wunderbare Ich-Erzählung zwischen Phantasie und Wahrheit, die zeigt, dass die Grenze von Wahrheit einzig durch den Menschen und seine Zeit gesetzt ist.
Kader Abdolah, Mohammad, der Prophet, Roman, Einband, aus dem Niederländischen von Christiane Kuby, die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel De boodschapper bei Uitgeverij De Geus, Breda, 288 S., claassen Verlag der Ullsteinbuchverlage GmbH Berlin 2009, EUR (D) 19,90, CHF 35,90, ISBN 978-3-546-00451-0
© Soraya Levin