Isabel Ashdown erzählt in Am Ende eines Sommers eine Familiengeschichte so mitreißend und authentisch, dass sie zu einem leidenschaftlich spürbaren Leseerlebnis wird. Es sind die großen Gefühle aber auch die ganz kleinen, die Ashdowns Text knistern lassen und trotz der Tragik ab und an zum Lachen verleiten.
Wie sieht es aus, das Porträt dieser Familie über zwei Generationen zwischen den wilden 60er Jahren und den 80er Jahren?
Da ist zunächst Mary. Sie wächst in einem wohlhabenden Elternhaus heran und hat eine tolle Schwester namens Rachel. Während ihres Studienaufenthaltes in London verliebt sie sich unsterblich in den Schreiner Billy. Billy, der so gar nicht in das elterliche Bild passt, der in ihren Augen für die Tochter nicht standesgemäß ist. Mary wird schwanger und heiratet gegen den elterlichen Willen Billy. Ab dem Moment brechen die Eltern alle Brücken zu Mary ab. Vergeblich schreibt sie jahrelang Briefe und Postkarten an die Eltern, hofft auf ein Wort, hofft, dass die Eltern wenigstens ihr Enkelkind sehen wollen.
Das Paar wohnt zunächst bei Billys Mutter. Es ist keine leichte Zeit für Mary, die Schwiegermutter hat nicht viel für sie übrig und es kommt häufig zum Krach. Und Billy? Er steht ihr nicht bei. Vielmehr sucht er nach der Arbeit für Stunden Abwechslung in der Kneipe. Was für ein Leben für die einst so lebenshungrige junge Frau, deren Hoffnung auf Familienglück im Alleinsein mündet, die unglücklich ist und in Depressionen verfällt. Vielleicht bricht sie deswegen einmal aus und versucht bei ihrer verlorenen Jugend wieder anzuknüpfen. Mit einer Freundin besucht sie ein Musikfestival. Einfach nur jung und flippig sein, zwischen Alkohol, Sex und The Doors den Körper und die Freiheit spüren. Dabei für ein Wochenende alles vergessen. Selbst das Kind. Obwohl Mary und Billy sich lieben, obwohl sie noch zwei weitere Kinder bekommen, sind sie kein glückliches Paar. Tag für Tag kehrt Billy in seine Stammkneipe ein und amüsiert sich mit Freunden, Frauen und Bier. Zu Hause sitzt die wartende Mary, die ihren Frust mit Alkohol wegspült. Immer mehr verliert sie die Kontrolle und gibt sich dem Suff hin. Die Kinder leiden unter der versoffenen Mutter, der älteste Sohn beschimpft und demütigt sie. Der dreizehnjährige Jake ist da ganz anders. Er umsorgt und beschützt sie, wischt das Erbrochene der Nacht weg, bringt der Mutter Tee und führt sie wieder nach Hause, wenn sie im Morgenrock und Puschen angetrunken durch die Straßen läuft. Wenn sie dann mal erwacht, gepflegt und gestylt die Treppen herunterkommt, kann er seine Freude kaum verbergen. Trotz alle dem ist er wie jeder andere Junge, ein Junge mit Fantasie, die er in der griechischen Mythologie
durchlebt, ein Junge, der natürlich Wünsche hat. Seinen Traum von einer Stereoanlage erarbeitet er sich hart. Irgendwann kommt der Punkt, wo das Band zwischen den Eltern zerbricht. Billy zieht aus.
Das Familiendrama wird für kurze Zeit unterbrochen. Rachel, Marys geliebte Schwester, nimmt nach Jahren der Trennung wieder Kontakt zu ihr auf. Ein Besuch bei ihr lässt für kurze Zeit alle Sorgen vergessen und für Momente sind Mary und die Kinder glücklich. Auch Billy kehrt wieder zu der Familie zurück. Dass es jedoch bereits zu spät ist, wird erst deutlich, als eine längst vergangene Affäre ans Licht kommt.
Reden wir über die Familie. Über das nicht vorbereitet sein auf die Handicaps des Erwachsenwerdens, über verwirrte Gefühle, über Liebe und Sex, über Sehnsüchte und Ängste, über Hoffnungen und Einsamkeit, über Freude und Traurigkeit und über die Herausforderung der Ehe. Ashdown zeigt diese Familie aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Einmal Jakes Welt, erzählt über einen Zeitraum von 11 Monaten bis zum Ende jenes Sommers und Marys Welt.
28 Jahre trennen die 10jährige Mary bis zum Ende jenes Sommers. 28 Jahre, in denen ihr Leben für sie zum Atmen zu eng wird. 28 Jahre, in denen eine unbegrenzte Liebe zu ihrem Mann Billy in die Einsamkeit führt. In denen ihre Eltern jeden Kontakt mit ihr brechen, in denen sie über Jahre ihre geliebte Schwester Rachel nicht sieht. Jahre, in denen ihr Mann Billy sein eigenes amüsantes Leben mit Freunden, Frauen und Bier führt. Es sind Jahre, die einer Odyssee gleichen. Jahre, die für Mary in Depressionen und in den Alkohol münden. Jahre, die für die Kinder nicht gerade ein geborgenes Zuhause schaffen. Mit dem Auszug Billys verliert Mary das zweite Mal ihre Familie. Dazwischen der verschlossene und manchmal recht coole dreizehnjährige Jake, der wie Perseus seine trunksüchtige Mutter bewacht und beschützt.
Auch wenn am Ende dieses Sommers Billy und Mary wieder dort anknüpfen, wo sie aufgehört haben, bleibt durch die Offenlegung eines Geheimnisses der Nachhall der zerbrochenen Ehe.
Isabel Ashdown, Am Ende eines Sommers, Roman, gebunden, Übersetzt aus dem Englischen von Rainer Schmidt, Originaltitel: Glasshopper, Originalverlag: Myriad Edition UK, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010, 352 Seiten, € 19,95 (D), € 20,60 (A), ISBN 9783821861203
© Soraya Levin