Sie sind selbstverliebte Alphatiere, gierig nach Anerkennung und Erfolg. Auf ihrem Weg nach ganz oben, galoppieren sie rücksichtslos über alles hinweg, was ihnen im Weg steht. Wer sind diese Alphatiere, die im Geld schwimmen, deren Anzüge, Autos, Jachten, Privatjets und Domizile das Wort Superlativ tragen?
Roger Schawinski, Autor und TV Moderator, richtet in seinem Buch „ICH BIN DER ALLERGRÖSSTE. Warum Narzissten scheitern“ den Fokus auf eine Auswahl dieser überwiegend männlichen Erfolgsgesichter. Darunter Sportler, Aufsichtsratsvorsitzende und Drogenbarone. Sie heißen Lance Armstrong, Sepp Blatter, Josef Ackermann, Thomas Middlehof und Pablo Escoba, um nur einige zu nennen.
Sie sind nicht der selbstverliebte Narzis, den Ovid beschreibt. Der letztlich erkennt, dass der ihn erotisch anziehende Andere eine reine Illusion ist. Denn sie verkennen selbst noch im Scheitern und Fall die Realität. Es ist der pathologische Narzissmus, der diese unüberbrückbare Kluft zur Wirklichkeit bildet.
Moral? Mitgefühl? Sich gar kritisieren lassen? Eigenes fehlerhaftes Handeln reflektieren? Das ist nicht der Habitus der krankhaften Narzissten, die es bis zum Äußersten treiben und selbst vor kriminellen Handlungen keine Skrupel haben. So bedauert der siebenmalige Tour de France Sieger Lance Armstrong nicht seine rücksichtlose Täuschung der Öffentlichkeit hinsichtlich seiner sportlichen Leistungen, sondern lediglich, dass er aufgeflogen ist. Und Sepp Blatter sorgt für die ihm „zustehenden“ Gefälligkeiten, indem er mit schmierigen Dollarnoten, getarnt in ominösen Briefumschlägen, um sich schmeißt. Luxusdomizile, Ehrendoktorwürden und Polizeiescorten wie bei Sepp Blatter erhöhen das Prestige der selbsternannten Leader. Sie sind die gekrönten Herrscher, im Schlepptau immer ihre Gefolgschaft der „Jubelperser“. Sie werden von der Presse sogar zum Kaiser gekrönt wie Franz Beckenbauer. Vom erfolgreichen Fussballspieler zum Aufsichtsratvorsitzenden des FC Bayern München und Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees. Er ist ein Geschäftsmann, verkauft sich gut als Werbeikone, schreibt Kolumnen und moderiert Fussballsendungen. Als gegen ihn wegen Korruptionsverdacht bei der EM- Vergabe ermittelt wird, ist seine Waffe die schlichte Ignoranz.
Ebenso ignorant und überheblich zeigt sich der ehemalige Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann. Topverdiener, Machtmensch, der Untreue verdächtigt und Zocker, der die Deutsche Bank fast an den Rand des Ruins bringt, der wegen Zinsmanipulationen und Prozessbetrug verklagt wird. Retter der Deutschen Bank sind die Steuerzahler und nicht Ackermann. Sein Fußabdruck sind Gerichtskosten in Milliardenhöhe und enorme Verluste. Ackermann sieht sich dennoch als Sieger und hält aus dem Gerichtssaal kommend demonstrativ das Victory-Zeichen in die Kameras. Welchen Sieg hat er gemeint? Hier zeigt sich nicht nur die große Realitätslücke, sondern das damit einhergehende asoziale Handeln. Der Name Ackermann steht seitdem für Personen mit besonders antisozialem Verhalten. Ein Verhalten, das nur die eigene Person aufwertet und alle anderen abwertet. Ein giftiges Verhaltensgebräu, das Ackermanns Finanzchef bei der Zurich Insurance Group in den Tod getrieben hat.
Von einer ebenso skrupellosen Zockermentalität hat sich der an der Spitze von Novartis stehende Daniel Vasella gezeigt. Gefräßig nach Millionen hat er am Ende sein Gehalt selbst bestimmt. Seine klassische Führungskompetenz arbeitet mit der Angst. Ein probates Mittel auf der Zielgeraden ist die Korruption, die am Ende für Novartis mit einem erheblichen Schaden endet.
Eine andere Art von Ignoranz prägt den sich selbst glänzend vermarkenden Wettermann Jörg Kachelmann. Ein Machtstratege, der auf dem schmierigen Lügenparkett seiner Liebschaften ausrutscht und sich dennoch mit dem dauerhaften Etikett „unschuldig“ versieht.
Unschuldig sind sie alle, diese selbstbezogenen Erfolgsmenschen. Sie fühlen sich unverwundbar und handeln daher extrem risikofreudig. Auf ihrem Weg nach oben überschreiten sie moralische Grenzen und ruinieren gestandene Unternehmen und Menschen.
"Ich bin der Allergrößte" wird zu ihrer zweiten Haut. Ein Scheitern passt daher nicht in ihr Weltbild. Roger Schawinski zeigt in seinem Buch die Kehrseite dieser pathologisch- narzisstischen Erfolgsmenschen auf. Ist ein gesunder Narzissmus ein Baustein für kreatives Handeln, so wirkt der krankhafte Narzissmus zerstörerisch. Im Extremfall gegen sich selbst wie bei Steve Jobs. Das gesetzte Beispiel von dem Apple Begründer passt jedoch nicht ganz zu der Zuordnung Narzissmus versus pathologischer Narzissmus. Motivation und Kreativität haben Steve Jobs erfolgreich handeln lassen. Also kann von einem gesunden Narzissmus gesprochen werden. Einen pathologischen Narzissmus jedoch in einen Kausalzusammenhang zwischen der Entscheidung der medizinischen oder alternativen Krebsbehandlung zu stellen, ist nicht valide.
Insgesamt mutmaßt Schawinski mit seiner Hausmannskost-Psychologie etwas zu viel. Auch seine Argumentation, dass er Frauen keinen Platz in seinem Buch eingeräumt hat, da sie selten in den oberen Führungsetagen anzutreffen sind, ist befremdlich.
Ein sicherlich gut beobachteter Hinweis ist die wachsende Zahl von Narzissten in den Social Media. „Der allgegenwärtige Selfiestick ist die Monstranz des heutigen, schamlos präsentierten Narzissmus.“, ein Narzissmus, der den einzelnen in einer One-man-online- show in den Fokus rückt, ein Narzissmus, der einzig nach Bewunderung strebt. Ob die One-man-show Donald Trump ein Indikator für den fortschreitenden Narzissmus einer Gesellschaft ist, ist fraglich.
Das Buch als Bollwerk gegen die eigene narzisstische Grenzüberschreitung? Das hofft zumindest Schawinski. Hoffen ist nicht verkehrt. Hier widerspricht er jedoch seinen eigenen Recherchen zu dem Thema. Denn gerade der pathologische Narzissmus vermisst ja den Realitätsbezug.
Insgesamt ist Schawinskis Buch über die besessenen Ich, Ich, Ich und nur Ich und dann wieder Ich-Typen durch die gewählte Form der Fallbeispiele interessant und im Gegensatz zu reiner Fachliteratur sehr unterhaltsam und gut nachvollziehbar. Obwohl es sich nicht um eine wissenschaftliche Fachliteratur handelt, wirft das Buch auf jeden Fall gesellschaftliche fundamentale Fragen auf. Welche Wege geht der Erfolg? Sind die Opfer der Leistungsgesellschaft gerechtfertigt? Kann die Erziehung als probates Mittel gegen den narzisstisch Krankhaften wirken oder produziert sie ihn erst? Setzt Führung denn zwingend ein gewaltiges Ich, Ich, Ich und nur Ich voraus? Welche Grundwerte des moralischen Zusammenlebens gelten in unserer Gesellschaft und welche akzeptieren wir? Wie kommt es, dass die Donald Trumps dieser Welt mit Applaus unterstützt werden? Sind wir vielleicht die zu verachtenden Co-Narzissten?
Roger Schawinski, ICH BIN DER ALLERGRÖSSTE. Warum Narzissten scheitern, 2016 by Kein & Aber AG Zürich – Berlin, gebunden, hardcover, 224 Seiten, ISBN 978-3- 0369-5749-4, 20,00 EUR
© Soraya Levin