Mit dem stetig wachsenden globalen Handel werden nicht nur Waren vertrieben, sondern immer mehr zur Prostitution gezwungene Frauen. Mit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" Anfang der 90er Jahre setzte in den osteuropäischen Ländern eine Liberalisierungspolitik ein, die nicht nur zur Verschlechterung der Lebenssituation führte. Dieser Prozess, der bis heute andauert, fördert die Migration in Arbeit. Da Frauen die von Armut am stärksten betroffene Gruppe darstellen, bilden sie auch den größten Teil der Arbeitsmigranten.
Ein transnational organisierter krimineller Frauenhandel, mit Deutschland als international agierender Drehscheibe, macht sich die Migration zu nutze. Die Frauen werden Opfer von Gewalt und in der Illegalität erwartet sie eine rechtlose, brutale Welt der Prostitution. Für die Händlerringe ist es ein lohnendes Geschäft mit Umsätzen in Milliardenhöhe.
Die deutsche Öffentlichkeit bringt mit den Ländern Osteuropas das Bild der Prostitution und Zuhälterei in Verbindung. Erst Ereignisse wie die Visa-Affäre oder der Fall Friedman wirken auf Grund der scheinbar näher rückenden Gefahr explosiv.
Autorin
Alexandra Geisler, studierte Sozialwissenschaftlerin und Sozialarbeiterin wendet sich nicht nur als Geschäftsführerin der deutschen Frauenliga gegen Gewalt gegen Frauen, sondern auch mit ihrem Forschungsbericht "Gehandelte Frauen. Menschenhandel zum Zweck der Prostitution mit Frauen aus Osteuropa".
Aufbau und Inhalt
Die Autorin beschäftigt sich in ihrer Forschungsarbeit mit dem Menschenhandel als Migrationsmuster. Sie stellt die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Prostitution und der Arbeitsmigration gibt, inwieweit die Frauen selbstbestimmt agieren und inwieweit die Ausländergesetzgebung die osteuropäischen Frauen zu Opfern macht, in dem eine legale Einreise verhindert wird und die Frauen in die Hände der Menschenhändler getrieben werden. Anhand eines theoretischen und empirischen Teils geht sie ihrer zentralen Fragestellung nach.Die Autorin zeigt zunächst die historisch gewachsenen Begrifflichkeiten der Prostitution auf, die letztlich in die Frage münden, ob Prostitution eine freiwillige Dienstleistung ist oder Sexsklaverei. Aus puritanischer Sicht kann eine Frau, die sich prostituiert, dieses aus eigenem Willen oder aber durch aufgezwungenen Willen tun. Prostitution wird generell als unanständig abgelehnt. Die Abolitionisten sehen die Frauen generell als Opfer der Ausbeutung. Sie streben eine Bestrafung der Mittler und Kunden an, um so die Prostitution zu beseitigen. Für Alexandra Geisler ist Prostitution keine Dienstleistung, sondern die Ausübung von Macht und Unterdrückung durch patriarchal wirkende Strukturen, die aufgrund ihrer Gewaltform die Persönlichkeitsrechte der Frau massiv verletzen. Die Frage wie Migration, Prostitution und Menschenhandel miteinander verbunden sind, beantwortet auf internationaler Ebene die UN. Sie unterscheidet zwischen einer freiwilligen Migration in die Prostitution und einer unter Zwang stattfindenden Migration in die Sexsklaverei. Das deutsche Strafrecht hingegen betrachtet den Menschenhandel insgesamt, als einen Handel in die Prostitution.Im Anschluss werden zwei Konzepte des Menschenhandels vorgestellt. Auf der einen Seite der Menschenschmuggel, dem die migrierende Person freiwillig zustimmt und der am Zielort beendet ist. Auf der anderen Seite der Menschenhandel, der nicht am Zielort beendet ist und zur Ausbeutung der Migranten führt.
Es schließt sich ein statistischer Vergleich der weltweit gehandelten Frauen und Kinder an sowie eine Erörterung der Anwerbungsformen wie Heiratsmärkte, Reiseagenturen, Verwandte, Freunde und Arbeitskollegen.
Die Autorin erläutert, dass mit Hilfe der Migrationstheorien, die sich in Mikro- und Makrotheorien unterteilen, die Arbeitsmigration erfasst werden kann. Der Mikroansatz geht vom individuellen Handeln aus, der Makroansatz beleuchtet die gesamtgesellschaftlichen Abläufe. Während die neoklassische Theorie noch davon ausgeht, dass in die Länder migriert wird, die für die Person ein Optimum an Gewinn versprechen, vertritt die neue Ökonomie den Standpunkt, dass das Individuum über keinen eigenen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Migration verfügt. Vielmehr entscheidet die ökonomische Situation der Familie über den Weggang aus der Heimat. Minderheiten wie die Romas sind von der Armut besonders betroffen. Ein weiterer Migrationsmotor sind ein falsches Westbild und ein reaktionäres Frauenbild. Da eine legale Migration für die Frauen kaum möglich ist, geraten sie aufgrund falscher Versprechungen in die Hände der Schleuser. In der Illegalität sind sie ohne Geld und Papiere den physischen und psychischen Gewaltanwendungen der kriminellen Banden ausgesetzt. Die Abhängigkeitsstrukturen und die Gewalt gegen die Frauen verfestigen sich daher nicht nur im Herkunftsland sondern verlagern sich über die Grenzen hinweg auf die internationale Ebene.
Im Anschluss stellt die Autorin die Methoden dar, mit deren Hilfe sie die Gründe für die Zunahme und stetige Verbreitung des informellen kriminellen Feldes des Frauenhandels offen legen möchte. Basis der Untersuchung ist die individualwissenschaftliche Perspektive. Die qualitative Untersuchung bildet den Ausgangspunkt. Innerhalb eines Jahres sind acht Frauen im Alter von 22 bis 31 Jahren aus unterschiedlichen osteuropäischen Staaten in einem offenen Leitfadeninterview nach ihrem Leben im Herkunftsland und vor der Opferwerdung befragt worden. Wie sahen ihre wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse aus, welches Frauenbild herrschte in der Gesellschaft, welche Vorstellung haben die Frauen zum Migrationsland gehabt? Die Frauen, die in ihrem Herkunftsland mit der Prostitution bislang nicht in Kontakt getreten waren, wurden in Deutschland alle zum Zweck der Prostitution gehandelt. Sie leben zurzeit der Befragung entweder geduldet in Deutschland oder warten noch auf ihre Zeugenaussage im Menschenhandelsprozess. Das Ziel der Befragung ist herauszufinden, warum die Frauen migriert sind, wie die einzelne Anwerbung der Frauen vor sich ging, was die Regierungen auf der politischen und sozialen Ebene unternehmen, um die Migration zum Zwecke des Menschenhandels zu verhindern.
Es schließen sich die Einzelfallbeschreibungen an. Beispielsweise ist die 21 jährige Olga zu nennen. In ihrem Herkunftsland der Ukraine hat sie Musik studiert. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation plant sie, sich selbständig zu machen. Das Geld hierfür möchte sie im Ausland verdienen. Sie fällt auf eine junge Frau herein, die ihr eine Arbeitsstelle als Kellnerin in Deutschland anbietet. Sie landet nicht als Kellnerin in Deutschland, sondern als Prostituierte. Auch die 29 jährige Zuzana kommt aus der Ukraine. In ihrem Heimatland hat sie an einer Grundschule unterrichtet. Nach der Geburt ihres Kindes verschlechterten sich für sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Ein Arbeitskollege bietet ihr seine Hilfe an. Er verspricht ihr eine Arbeit als Reinigungsfrau oder Kinderbetreuung in Polen. Sie erhält einen gefälschten Pass und wird zum Abarbeiten im Bordell gezwungen. Heute lebt sie geduldet in Deutschland.
Im letzten Abschnitt ihrer Forschungsarbeit zieht Alexandra Geisler aus der Materialauswertung die Konsequenz, dass die schlechte wirtschaftliche Situation und die damit verbundene Zukunftsangst der einzelnen Frauen den Ausgangspunkt für den Frauenhandel bilden. Falsche Informationen über das Zielland und Jobangebote seitens Freunde, Verwandte, ehemals gehandelter Frauen und Arbeitskollegen, die auch als Händler tätig sind, führen schließlich zur Migration. Hieraus schließt die Autorin, dass die Migration den transnationalen Menschenhandel fördert. Abhängige Strukturen verfestigen sich zudem in der Prostitution. Hinzu kommt eine gesellschaftliche Ausgrenzung im Heimatland. Die Autorin plädiert für eine intensive übergeordnete Zusammenarbeit der Sozialeinrichtungen und der Staatsgewalt mit Blick auf die Opfer.
Diskussion
Bei allen Beteuerungen, Menschenrechtsverletzungen gegenüber vorzugehen, bleibt doch die Frage, warum zur WM 2006 die Kommunen und Länder in Deutschland den Prostitutionshandel von osteuropäischen Frauen von vornherein akzeptierten. Zur Diskussion stand sogar die Anschaffung von "Sexboxen". Die Frau als Ware ist damit hoffähig gemacht worden. Ihre Würde steht nicht mehr zur Diskussion. Aber auch die Werte der heimischen Bevölkerung, der Freunde, Bekannten, Arbeitskollegen und Verwandten, die mithelfen, die Frauen in die Zwangsprostitution zu treiben, sind kaum fassbar. Wo bleibt hier die Vermittlung der Werteorientierung seitens der politischen und geistigen Elite der Länder? Wo bleibt hier die internationale Zusammenarbeit? Kann die Prostitution als Menschenrechtsverletzung überhaupt wahrgenommen werden, solange Prostitution als reine Dienstleistung gesehen wird und Angebot und Nachfrage die Frau zur Ware degradieren? Solange selbst die Politik korrumpiert ist und international nicht hiergegen vorgegangen wird, werden Menschenrechtsverletzten wohl weiterhin zum Alltag gehören und stillschweigend akzeptiert.
Die schlechten ökonomischen Rahmenbedingungen in den osteuropäischen Staaten, die sich nach 1989 noch verstärkt haben, fördern und begünstigen über die Arbeitsmigration den Frauenhandel, der in der Prostitution mündet. Begünstigt und verstärkt wird dieser Prozess durch eine eng ausgelegte Ausländergesetzgebung und durch die sexuelle Nachfrage und ein reaktionäres Frauenbild. Die Überwindung der Armut und die Schaffung von lebenswürdigen Verhältnissen in den osteuropäischen Ländern ist notwendig, um dem Frauenhandel wirkungsvoll begegnen zu können. Auf internationaler und transnationaler Ebene sind die politischen und geistigen Eliten zum Handeln aufgefordert. Allein Gesetzgebungsprozesse, die legales Handeln von vornherein vereiteln, treiben die Frauen aufenthaltsrechtlich in die Illegalität. Solange die europäische Union keine einheitliche Politik hinsichtlich des Umgangs mit der Prostitution und des Menschenhandels verfolgt, bleiben die Frauen weiterhin das Opfer eines formellen und informellen kriminellen Menschenhandels, der selbst vor staatlichen Behörden als Mittäter nicht halt macht. Aufklärungskampagnen und ein transnationales europäisches Netzwerk sind zwingend erforderlich.
Fazit
Dem Zusammenwirken von Migration und Prostitution kommt eine wesentliche Bedeutung im Bereich der Menschenrechtsverletzung zu. Alexandra Geisler hat mit ihrer gut strukturierten Forschungsarbeit einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen. Die verstärkte Wirkung von Migration und Prostitution durch ein kulturell und historisch gewachsenes Rollenverständnis wird durch den empirischen Abschnitt sehr deutlich herausgearbeitet. Insgesamt handelt es sich um eine Forschungsarbeit, die die Chance eröffnet, Menschenhandel als ein Migrationsmuster zu deuten.
Alexandra Geisler, Gehandelte Frauen. Menschenhandel zum Zweck der Prostitution mit Frauen aus Osteuropa. Trafo Verlag (Berlin) 2005. 157 Seiten. ISBN 3-89626-530-X. 19,80 EUR
© Soraya Levin