Höllenjahre sind das gewesen. Jetzt ist ihre Ehe tot und er? Er hat sie überlebt. Ein alltäglicher Streit mit seiner Frau und als er erwacht, sitzt er im Rollstuhl. Die Situation muss er erst mal begreifen. Was da mit ihm plötzlich passiert ist. Er ist Maler und jetzt spürt er seine Hände nicht mehr, kann den Pinsel nicht mehr führen. Kann nur noch wie ein Stück Masse dasitzen. Seine Aktivitäten sind verstummt. Er ist ausgesperrt vom Leben, nur im Kopf geht es weiter, da rattern die Facetten seiner Ehe an ihm vorbei.
Inmitten all der Kunst und der Liebe treffen sie in Paris aufeinander. Sie ist beeindruckt von diesem älteren zuvorkommenden Mann und erwidert seine Gefühle. Bis hierhin ist es eine typische Romanze, die in einer Ehe mündet. Ein älterer Maler heiratet eine jüngere Frau. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ein aus einer kultivierten und bürgerlichen marokkanischen Familie stammender Maler heiratet eine einfältige Berberin. Dagegen ist seitens der Familien etwas einzuwenden. Die anrollende Feindseligkeit vergiftet bereits den Beginn ihrer Ehe in Marokko. Sie fühlt sich gedemütigt und erniedrigt. Bei jedem Treffen mit seiner Familie oder mit Freunden strahlt er und teilt sie gegen sie aus, die kränkenden Schläge. Er macht sie klein und macht sich lustig über sie. Er hat Geliebte. Mal ist es nur der reine Sex, mal glaubt er, da ist viel mehr, da ist Liebe. Sie fühlt sich benutzt. Ihr junger Körper als Gebärmaschine und sexuelles Lustobjekt.
Sie empfindet ihn als knauserig. Der Genuss ist nur für ihn und seine Familie reserviert. Es ist ein Machtkampf ums Geld und um Besitzansprüche am Partner. Er wirft ihr Verschwendung vor, teilt ihr wie einem Kind Geld zu. Sie hintergeht ihn finanziell.
Er will die Scheidung. Er zögert jedoch, da er Angst vor ihren unkontrollierten Wutausbrüchen hat. Ihr Hass verdichtet sich mehr und mehr. Sie leidet wie ein verwundetes Tier. Sie wird aggressiv und gefährlich. Jetzt ist sie bereit zu töten. Und zwar ihn.
Eheglück spricht verschiedene Problemlagen an. Die patriarchale Struktur Marokkos spiegelt sich in den Machtstrukturen der Ehepartner wider. Die erniedrigte und in ihrer Würde demaskierte Frau und der Herr, ihr Mann. Das Gegensatzpaar Affäre und Eifersucht treibt die Ehe in eine tiefe Verbitterung auf beiden Seiten. Die Lüge ist dauerhaft mit im Ehespiel. Ein Spiel zweier Partner, in das die unterschiedlichen Sozialmilieus ständig eingreifen. Der mondäne Städter und die ungebildete Berberin vom Land, die ihr Glück in alten Riten sucht. Zwei Menschen, die sich fremd und benutzt fühlen. Der eine als Zahlungsmittel, die andere als Gebärmaschine. Zwei Menschen, die ihre eigenen Fehler nicht wahrnehmen, sie auf den Partner projizieren und ihre Ehe Stück für Stück zerbrechen. Ein permanenter Machtkampf, der durch jedem Kapitel vorangestellte Textauszüge aus Szenen einer Ehe von Ingmar Bergman und anderen Beziehungsdramen untermauert wird. Ein Eheglück als Trauerzug, der seit 20 Jahren das Glück zu Grabe trägt und sich dessen erst mit dem körperlichen „Schlag“ bewusst wird.
Tahar Ben Jelloun wählt eine interessante Erzählvariante. Er erzählt seine Geschichte aus zwei Blickwinkeln. Es ist die Sicht des jeweiligen Ehepartners, die zu Wort kommt. Der erste Teil ist aus der personalen Perspektive des Malers erzählt. Die gewählte Erzählweise schafft jedoch zu viel Distanz zum Geschehen. Die Identität des Künstlers erlangt keine Schärfe, da er nur „der Maler“ ist. Die direkte Rede kommt viel zu kurz. Der Charakter des Malers bleibt dadurch flach und die Atmosphäre nüchtern. Der zweite Teil des Buches gewinnt durch die Ich-Perspektive der Frau an Dynamik. Es wäre besser gewesen, die Ich-Form auf den ganzen Roman anzuwenden. So bleiben leider weite Teile der Vorstellung von Glück und der Erwartungshaltung an eine Ehe recht blass.
Tahar Ben Jelloun, Eheglück, Roman, Aus dem Französischen von Christiane Kayser, 320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin 2013, ISBN 978-3-8270-1167-1, € 19,99 [D], € 20,60 [A], sFr 28,90
© Soraya Levin