Dinge, die ich von ihm weiß – ein hochbrisanter Romanstoff zum katholischen Widerstand im Dritten Reich oder einfach nur zur katholischen Grabesstille.
„Die Last der Geschichte annehmen“. So der Titel einer christlichen Antwort der deutschen katholischen Bischöfe zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms 1938 auf die Verweigerung eines kirchlichen Protestes gegen die Judenverfolgung.
Einer, der protestiert hat, der den Nazis Paroli geboten hat, ist der sogenannte Löwe von Münster, Bischof Clemens August Graf von Galen. Sein bedrohliches Brüllen ist jedoch nicht für den Schutz der Juden bestimmt gewesen.
Wer ist dieser Löwe von Münster, der in weiten Kreisen der Öffentlichkeit als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus gefeiert wird, der im Jahr 2005 mit der Seligsprechung sogar zum Helden wird?
Roland E. Koch zeichnet diesen Löwen und sein Leben zwischen dem Jahr 1933 und 1946 in seinem Roman Dinge, die ich von ihm weiß. Die Zeichnung ist nicht schnörkellos, denn Maria, die fiktive Haushälterin und seine fiktive aber durchaus denkbare Geliebte, erzählt diese Geschichte.
Sie ist 33 Jahre als sie als Haushälterin zum Bischof Clau kommt. Er wird ihr Lehrer und ihr Geliebter. Mit ihm entdeckt sie die Freude am Lesen und am Sprachenlernen. Die Grenzen zwischen Haushälterin und Bischof verwischen langsam. Es gestaltet sich immer stärker ein eheähnliches Alltagsleben. Maria führt den Haushalt, kocht, macht sauber. Clau predigt, geht jagen, rennt mit Dreckstiefeln durch das Haus, er zecht ordentlich und dann reichen auch schon Nichtigkeiten aus, um Wutausbrüche zu provozieren. Nach außen äußerst unverträglich und nach innen ein Mensch, ein Mann mit Gefühlen, der die sexuelle Abstinenz nicht aushält, sich selbst befriedigt und später seinen sexuellen Trieb mit Maria sättigt.
Ihre Liebe hat keinen Anspruch auf Wahrheit. Sie bleibt ein Geheimnis wie ihr gemeinsames Kind. Maria leidet unter dieser stillen verschleierten Beziehung. Sie möchte sich entblößen, mit Clau und dem Kind ins Ausland gehen. Ihre Frustration wird größer, je mehr sie und Clau die Grenzen ihres Handelns innerhalb ihrer Liebe und innerhalb des Gesellschaftssystems erkennen. Als Verfolgte an die Tür des Bischofs klopfen, schickt er sie weg, ignoriert die überlebenswichtige Hilfe. Selbstbezogen geht es nur noch um das Bischofsamt. Clau leidet unter seiner menschlichen Schwäche.
Sein Gehorsam schlägt um in Ungehorsam als katholische Priester verfolgt werden, als die Schulen kreuzfrei werden sollen. Endgültig empört reagiert er, als er erfährt, dass Marias geistig behinderte Verwandte von den Nazis ermordet worden ist. Er predigt öffentlich gegen den Mord an Behinderte, er schreibt Bittbriefe an Rom.
Und wieder leidet er, als er in den Beichten von dem furchtbaren Morden der Soldaten hört. Wie soll er sie trösten, sie, die doch nur gehandelt haben, um sich selbst zu retten, sie, deren Geschichten so unglaubwürdig klingen.
Und das Leiden nimmt kein Ende. Als Nationalist und Zentrumsanhänger leidet er als der Krieg verloren ist. Marias Leiden endet ebenfalls nicht. Ihr Traum von einem gemeinsamen Leben ist endgültig beendet, als Clau 1946 Kardinal wird.
Erst mit seinem Tod ist sie von ihm befreit. Sie lebt fortan in Italien und kehrt aus Protest und Schuldgefühl der Kirche den Rücken.
Roland E. Koch zeigt durch seine fiktive Figur Maria, dass das Schweigen zur Mittäterschaft führt. Eine Täterschaft, unter der sich auch die katholische Kirche befunden hat. Bereits mit dem Reichskonkordat 1933 schließt der Papst einen Ablasshandel mit Hitler. Was die jüdischen Opfer betrifft, so herrscht katholische Grabesstille.
Eine Grabesstille, die gestört wird, wenn es nicht um die Juden geht. Jetzt brüllt der Löwe von Münster. Selbstverständlich ist sein Brüllen willkommen, denn jeder Widerstand ist in einem totalitären System unbezahlbar. Für diesen Widerstand gebührt ihm Respekt. A b e r und dieses folgende A b e r minimiert durchaus nicht den Respekt aber setzt die Wertung etwas anders. A b e r wenn ein Mann Gottes sich opportun zu einem menschenverachtenden System zeigt, sich als Bremsklotz der Hilfesuchenden zeigt, seine mangelnde Gegenwehr sie in den Tod treibt oder zumindest das Treiben nicht verhindert, dann ist eine Verehrung als Widerstandskämpfer des Nationalsozialismus eindeutig deplatziert, dann geht eine Seligsprechung ohne wenn und aber zu weit und führt das Wort Tugend ad absurdum.
Koch gelingt durch sein fiktives Sprachrohr Maria diese scheinheilige Tugend zu offenbaren. Der scheinheilige Zölibat, welcher die Untugend in sich trägt, kann symbolisch stehen für die Untugend des Schweigens und Tolerierens der Judenverfolgung.
Die deutsche Bischofskonferenz hat im Jahr 1988 zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht nach Antworten für diese Untugend gesucht und sie im Antijudaismus gefunden, der „...die Abwehrkräfte gegen das neue Phänomen des modernen Antisemitismus geschwächt ...“ hat.
Aus der Perspektive von Maria wird diese Schwäche bei Clau deutlich, auch wenn er mit der päpstlichen Enzyklika die katholische Weltanschauung gegenüber der Rassenideologie verteidigt. Seine Gleichsetzung des Bolschewismus mit dem Judentum verstärkt diese Schwäche, denn er hat die Häresie nicht nur in der Rassenlehre, sondern auch im Kommunismus gesehen.
Maria, obwohl sie die Schuld sieht, verteidigt Clau und seine Schwäche und macht ihn zum Opfer seiner Ambivalenz hinsichtlich seiner Überzeugungen und seines Charakters.
Der Roman Dinge, die ich von ihm weiß provoziert, denn er hinterfragt Positionen einer kirchlichen Weltinstitution zum totalitären System des Nationalsozialismus. Schade ist bei diesem wirklich brisanten Stoff der von Koch gewählte Grundton, der an einzelnen Stellen seicht und banal ist und bis zur Trivialisierung reicht.
Roland E. Koch, Dinge, die ich von ihm weiß, Roman, 240 Seiten, gebunden, Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2011, ISBN 978-3-937717-69-2, 19,80 €
© Soraya Levin