Es ist der Generationenwiderspruch, den Heðin Brú unterhaltend und überaus bildlich rüberbringt. Mit jedem Wort diese spürbare Einfachheit der bäuerlichen reinen Existenz, die sich vehement gegen die Verstädterung und Modernisierung sträubt.
Hier, umgeben von der rauhen Wucht des Nordatlantiks, lebt einer der letzten Grindwalfischer. Der Färöer Ketil. Als im Seyrvágsfjord Wale gesichtet werden, treibt es den 70-jährigen Jäger freudig an. Ausgerüstet in alter Tradition mit seiner Lodenkluft, bepackt mit Treibsteinen, Walspeeren und Fanghaken geht es los. Im Schlepptau Ketils jüngster Sohn Kálvur. Obwohl Ketil Mühe hat, den anstrengenden Weg bis zum Fjord zu schaffen, besteht er darauf, wie früher zu Fuß zu gehen. Für Kálvur unverständlich, da die Jungen heutzutage bequem mit dem Auto fahren. Überhaupt nehmen sie das Auftauchen der Wale gelassener. Während für Ketil die Grindwale geradezu eine magische, eine göttliche Bedeutung haben, sehen die Jungen darin nichts Außergewöhnliches. Für sie geht es lediglich um den Fang.
Ketil hat sich überschätzt. Seine Kraft reicht nicht mehr, um mit aufs Meer zu fahren. So fiebert er wie die vielen anderen Färöer vom Festland aus mit. Kálvur darf bei den Jungen mit aufs Boot. Das Jagen geht los und entwickelt sich zu einem Schlachtfest. Die Jungen ungeübt und nicht vertraut mit den alten Techniken, treffen nicht richtig, verwunden die Tiere und müssen immer wieder neu Anlauf auf die leidenden Wale nehmen. Das Meer wird aufgewühlt und färbt sich rot. Inmitten der verletzten und toten Wale die schwitzenden Jäger. Das Landvolk sieht beim Sterben zu. Die Freude über den Fang verdrängt die Gewissenbisse. Jetzt kommt die Zeit des großen Fressens, die Zeit der Heldenlieder, die Zeit des Feierns. Überall riecht es nach Grindwalfleisch und jeder will dabei sein, egal ob alt oder krank, sie schmatzen, sie fressen, sie lachen und singen, die Alten erinnern sich an ihre glorreiche Jagdzeit. Auch Ketil fühlt sich, als wäre er selbst dabei gewesen, als hätte auch er eine fette Beute heimgebracht. Um sich der Illusion hinzugeben, ersteigert er teuer ein Stück Walfleisch. Mit seiner Jagdbeute und Schulden kehrt er Heim.
Schulden, die für Ketil und seine Frau eine schwere Bürde sind. Sie sind einfache Leute, arbeitsam und ehrlich. In ihrer immer gleichen primitiven Unterkunft haben sie elf Kinder großgezogen. Viel Zeit ist vergangen und zehn der Kinder gehen ihren eigenen und neuen Weg. Nur Ketil und seine Frau, die gehen weiterhin den alten Weg.
Ketil weiß nicht wie er die Schulden bezahlen soll und wendet sich an seinen ältesten Sohn. Es zwingt ihm schon etwas ab, dort vorstellig zu werden, denn sein Sohn und die Schwiegertochter leben in einer anderen Welt. Ihr Haus ist blitzblank und mit schönen Möbeln ausgestattet. Nach außen scheinen sie wohlhabend. Doch sie sind verschuldet, aber das stört sie nicht.
Ketil ist auch stolz auf sein Haus. Sein ältester Sohn empfindet nur Verachtung für die als Haus bezeichnete verdreckte Hütte. Ein Haus, das bei schweren Stürmen bei den Alten wildes hektisches Treiben auslöst, denn wenn sich keiner aufs Dach schmeißt, zerrt es der Wind davon. Von den Jungen schmeißt sich keiner mehr aufs Dach. Sie sind gelassen und beschweren das Dach mit Eisen statt mit Menschen.
Ketil hat von seinem ältesten Sohn kein Geld bekommen. Ideenlos ist er trotzdem nicht. Der Fischfang soll die Rettung sein. Doch er braucht Hilfe und bittet seine längst ausgezogenen Söhne mit ihm zu kommen. Der Alte denkt an das nicht mehr fahrtüchtige Ruderboot und die Jungen sagen, sie denken nicht daran, sich zu quälen. Sie fahren nur mit dem Motorboot. Doch sie haben kein Geld für Sprit. So macht sich Ketil allein an die Arbeit und richtet in frühen Morgenstunden das Boot wieder her. Als die Jungen Ketil mit einem guten Fang heimkehren sehen, fahren sie mit ihren Motorbooten auch zum Fischen hinaus.
Jetzt sind die Jungen bereit, mit den Alten gemeinsam zu fischen. Während sich die Alten über jeden gefangenen Fisch freuen, zählt für die Jungen nur der große Fang. Während die Jungen den Fisch an Land mit einer Steinmauer sichern wollen, meinen die Alten Gott will das nicht. Während die Jungen müde sind und den Fisch am nächsten Morgen vom Strand holen wollen, wollen die Alten erst die Arbeit erledigen. Sie bleiben zurück und bewachen den Fisch. Diese nächtliche Einsamkeit braucht nicht viel, um sie glücklich zu machen. Sie sitzen Pfeife rauchend am Feuer, trocknen ihre nassen Strümpfe und halten ein Schwätzchen.
Ja, diese Alten. Sie verbuddeln ihre Schnapsflaschen und pinkeln öffentlich im Freien.
Ketil hat immer noch nicht das Geld zusammen, um die Schulden zu bezahlen. In der Nacht geht er auf Tour, um Vögel zu jagen oder im Treibholz nach Planken zu suchen. Doch vorerst fragt der Gottgläubige den Pfarrer um Erlaubnis. Sein Sohn Kálvur begleitet ihn zwar. Er ist jedoch in seinem Verhalten kein „alter“ Färöer. Er ist ängstlich, ständig jammert er und ist erschöpft.
Ketil sammelt alten Plunder zusammen und bittet seine Söhne ihm zu helfen, die Sachen zurückzubringen. Doch die schämen sich für das Gerümpel und sind nicht bereit ihm zu helfen.
Ketils Frau strickt Pullover, die sie im örtlichen Kaufmannsladen, wo nur noch die Alten kaufen, anbietet.
Ein wenig Geld haben sie jetzt zusammen. Doch dann lässt sich Ketil vom Kommunalbeamten reinlegen und bezahlt angebliche Steuerschulden seines ältesten Sohnes. Steuerschulden, die keine sind. Der Beamte kann nur mit der modernen bargeldlosen Zahlungsart des ältesten Sohnes nicht umgehen und sucht den leichteren Weg, um an das Geld zu kommen.
Der Tag der Schuldenbegleichung rückt näher. Sie haben alles versucht, doch das Geld haben sie nicht zusammen. Ihnen bleibt nur eins, Gott um Hilfe bitten. Nach 40 Jahren verlassen sie das Dorf und fahren in die Stadt zur Sonntagsmesse. Hier an diesem Ort ist nichts mehr wie es einst war.
Heðin Brú beschreibt in seinem Klassiker mehr wie die Einsamkeit der Färöer Inseln. Inmitten der rauhen Landschaft, inmitten des wuchtigen Atlantiks leben die alten Dorfmenschen wie Ketil in den 1930er Jahren in ihrer bäuerlichen Welt, an der die Moderne zerrt. Dieser Widerspruch spiegelt sich in den älteren Söhnen wieder. Es sind die älteren, die namenlosen Söhne, die die Moderne repräsentieren. Denn die Moderne ist für Ketil nicht fassbar und ist daher namenlos. Ketil lebt bedürfnislos im Einklang mit der Natur. Er und seine Frau sind zufrieden mit dem, was sie zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz haben. Es ist eine einfache, rückständige Welt, in der man gottesfürchtig und ehrlich nicht nach einem „Mehr“ strebt.
Das Wetter schlägt um, doch diese Alten verstehen den Umschwung nicht. "Hört auf damit, nichts ist aus den Fugen geraten, es ist lediglich Gezeitenwende. Eure Flut ist abgeebt, jetzt kommt die unsrige.“, sagt der älteste Sohn.
Die neue Flut bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Es ist die andere Lebenswelt, die von den alten Bräuchen und Traditionen sowie dem bisherigen wohlvertrauten Leben entfremdet. Eine Fremde, die nicht nur Angst macht, die schlicht weg unverständlich ist. Der Sinn des Lebens ist plötzlich nicht mehr sein gottesbestimmtes armes Leben zu fristen. Die Jungen haben sich emanzipiert, handeln nicht nach Gott, sondern nach ihrer Vernunft. Es geht ihnen im Vergleich zu den Alten nicht mehr nur um die Existenz. Nein, sie wollen leben.
Der jüngste Sohn Kálvur steht für das Bindeglied zwischen der einstigen archaischen Welt und der Moderne. Er ist ein Bestandteil dieser spartanisch gottgläubigen Welt, da er noch zu Hause lebt. In dem er seinen Vater begleitet, übernimmt er dessen Lebensweise und hält sich an die archaischen Spielregeln. Auf der anderen Seite sieht er den Modernisierungsprozess und strebt nach dem Neuen. Wie die anderen jungen Leute möchte er mit dem Auto oder Motorboot fahren. Seine außereheliche Beziehung zu einem Mädchen verdeutlicht, dass die Moderne in der jungen Generation den Durchbruch schafft.
Es ist der Generationenwiderspruch, den Heðin Brú unterhaltend und überaus bildlich rüberbringt. Mit jedem Wort diese spürbare Einfachheit der bäuerlichen reinen Existenz, die sich vehement gegen die Verstädterung und Modernisierung sträubt. Die jedoch in ihrer einfachen Lebenswelt zufriedener scheint als die lebensnahen Jungen.
Heðin Brú, Vater und Sohn unterwegs, OT: Feðgar á ferð, 1940, Aus dem Färöischen und mit einem Glossar von Richard Kölbl, Mit einem Nachwort von Klaus Böldl, 205 Seiten, gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen, 2015 Guggolz Verlag, Berlin, ISBN 978- 3-945370-03-2, € 22 [D] | € 22,60 [A] | sFr 29,50
© Soraya Levin