Aliza Olmert. Bei dem Namen denkt man zuerst an die Frau des amtierenden israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert. Viel zu kurz kommt, dass Aliza Olmert in Israel auch eine anerkannte Schriftstellerin ist. Der Aufbau Verlag hat mit „Ein Stück vom Meer“ ihr Debüt in deutscher Sprache herausgebracht. Ein autobiografischer Roman über eine entwurzelte Familie auf der Suche nach Halt und einem Neubeginn im Israel der Nachkriegszeit.
Die jüdische Familie Meller hat den Krieg überlebt und bricht aus den Trümmern Münchens auf in das neu gegründete Israel. Während Olek, der Vater, sich nach einem Stück Heimat sehnt und von einem Neubeginn und einem Haus mit Bougainvilleen in dem „Gelobten Land“ träumt, ist es für seine Frau Anuschka nur ein „Nirgendwo“. „Wenn Mutter Vaters ‚Gelobtes’ ‚dieses Nirgendwo’ nannte, welches Versprechen erwartete mich dort?“ fragt sich die fünfjährige Alusia.
Angekommen in Manschija, einem heruntergekommenen Stadtteil im Süden von Tel Aviv, leben sie in einem ehemaligen Festsaal. Das wenige Mobiliar, das sie mit den Ratten teilen, besteht aus Schachteln mit Wehrmachtsschnallen, die Olek aus einer Münchner Fabrikruine „gerettet“ hat. Die Schnallen sind das Kapital für einen Neuanfang und die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren. Tag ein, Tag aus versucht Olek mit der Armee ins Geschäft zu kommen, läuft die kleinen Händler von Tür zu Tür und Straße zu Straße ab, doch ohne Erfolg. Anuschkas Leben spielt sich hingegen in der schrecklichen Vergangenheit ab. Tiefe Depressionen entfernen sie immer weiter von dem Alltag und ihrer Familie. Dazwischen Alusia auf der Suche nach ein bisschen Liebe und Glück.
In dem Moment, wo die Entfremdung innerhalb der Familie an ihre Grenzen stößt, bekommen sie eine neue Wohnung in einem gutbürgerlichen Viertel zugewiesen. Nochmal verändern sich die Lebensumstände. Olek bekommt einen Posten im Landwirtschaftsministerium und Anuschkas Suche nach Trost erfüllt sich in dem Moment, wo sie ein Stück Heimat mit Gleichgesinnten in ihrer Bibliothek für polnische Literatur findet. Und die kleine Alusia bastelt aus den Schnallen Rüstungen für eine Theateraufführung in der Schule.
Aliza Olmerts „Ein Stück vom Meer“ schildert ein aufwühlendes jüdisches Familienschicksal der Nachkriegszeit aus der Perspektive eines fünfjährigen Mädchens. Die „Entwurzelten“ Olek und Anuschka sind mit ihrer kleinen Tochter Alusia auf der Suche nach Halt im „Gelobten Land“. Doch was für Olek Heimat ist, ist für Anuschka nur ein Exil. Die drückende Atmosphäre zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist mit jeder Zeile zu spüren. Unfähig das Erlebte miteinander zu teilen, entzweit sich die Familie immer mehr. Oleks Wunsch nach einem Haus mit Bougainvilleen, der Wunderblume, ist ein Symbol für Hoffnung auf ein Wunder, auf einen Neuanfang. Doch zwischen dem Wunsch und der Wirklichkeit steht ein Kübel von Enttäuschungen, Schmerz über den Verlust der Heimat und der Verwandten und eine Hoffnung, die von einem Beamten zerstört wird. „Wer bis jetzt nicht aus Europa hergekommen ist, schaut uns doch schon längst von oben zu.“ Alusia, durch die Umstände immer mehr von ihren Eltern entfremdet, erschafft sich ihre eigene Welt. Auch sie ist auf der Suche nach Glück. Und mit einem Blick auf ein Stück vom Meer scheint sie dieses Glück gefunden zu haben.
Mit deutlichem Gespür beschreibt Aliza Olmert die bittere Atmosphäre des Versuchs eines Neubeginns vor dem Hintergrund eines unumkehrbaren Elends.
„Ein Stück vom Meer“, ein glanzvoller und bewegender Roman, der zeigt, dass zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart ein breiter Strom fließt, der tiefe Spuren auf der menschlichen Landkarte hinterlässt.
Ein Stück vom Meer, Aliza Olmert, Roman, aus dem Hebräischen von: Mirjam Pressler, Eldad Stobezki, gebunden, 368 Seiten, Aufbau-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-351- 03219-7, 19,95 € / 38,60 Sfr
© Soraya Levin