"Seliger fährt nicht wie sonst zur Arbeit." So beginnt eine von Michael Krupps Kurzgeschichten, die so manche Überraschungen bereithalten. Es sind ganz gewöhnliche Leute die Seligers, Baums, Ockenfelds und Uday Sasmals, die aus ihrer Alltagsroutine geplant und ungeplant ausbrechen. Es ist das Ungewöhnliche und die Zuspitzung der Alltäglichkeiten, was den Leser neugierig auf mehr macht.
Nehmen wir Seliger, der nicht wie sonst zur Arbeit fährt. Gerade noch im eingefahrenen Rhythmus, auf den Weg in die Büroroutine, bricht er spontan in seine Kindheit aus. Das Klacken des Drehrades am Kaugummiautomaten versetzt ihn wieder in die spannende Welt seiner Kindheit, die voller Erwartungen und nicht voller Selbstverständlichkeiten gewesen ist. Spontan bucht er eine Reise. Keine festgelegte Reiseroute, keine Selbstverständlichkeit. In spannender Erwartung und Vorfreude reist er ohne Rückfahrschein nach einem ihm unbekannten Ort namens Taklamakan.
Springt Seliger über die Hürde der Selbstverständlichkeiten, so begibt sich Ockenfeld wieder mal an den Start eines Hindernislaufs. Ziel ist es, als Wettkampfteilnehmer beim Vorstellungsgespräch die Einstellungshürde zu überspringen.
Ockenfeld geht alle Tipps der bestmöglichen Chancen, der Erfolgssignale, der Steigerung seiner Attraktivität wieder und wieder durch. Duften ja, aber nicht zu viel, positiv wirken und immer lächeln. Für eine gesunde Gesichtsfarbe und eine dynamische Ausstrahlung nimmt Ockenfeld die Treppe, läuft zu Fuß, statt ein Taxi zu nehmen, landet letztlich in einer Straßenbahn und verpasst seinen Termin. Einer von vielen ähnlichen Terminen. Bei seiner Jagd nach der Chance auf einen Job hat Ockenfeld sich selbst ganz vergessen. Am Ende ist es ihm klar. Die Jagd auf den Job ist nicht das Wichtigste.
Auch die Jugend kommt nicht zu kurz. Sie träumt vom Guerillakampf und Opposition und landet in der Anpassung. Was gewesen ist, ist ein kurzes Aufbegehren und was bleibt, ist der Traum davon.
Und da haben wir den vergnüglichen Baum, der dem Leser verrrät „Fliege nach Terranova! Bin ziemlich in Eile!“
Michael Krupps Geschichten sind Ausdruck unseres Zeitgeschehens und unserer Lebenswelten, in denen der einzelne oft zu kurz kommt. Versteckte Sehnsüchte und wilde Anwandlungen treiben Michael Krupps Alltagsfiguren in mitunter recht sarkastische und skurrile Grenzsituationen. Krupps Figuren schwimmen in ernsten und witzigen Stimmungen, die sich in den Geschichten über die unbedarfte Kindheit, über die menschlichen Spielarten und den Umgang mit uns selbst, über die Gefühle von Bedeutungslosigkeit, über Hochgefühle und Zufriedenheit, über den Verfall der Werte in unserer Gesellschaft, über Familienabschiede, über verlorene Plätze in der Gesellschaft über das verlogen gelebte Leben und dessen Ausbruchsversuche zuspitzen.
Michael Krupp, Terranova, Erzählungen, 156 Seiten, Verlag Edition Thaleia, St. Ingbert 2011, Bibliothek Neue Prosa, Broschur, 14,- EUR, ISBN 978-3-924944-97-1
© Soraya Levin