André Schiffrin erzählt seinen durch die Politik stark beeinflussten Lebensweg zwischen Paris und New York. Er wird 1935 als Sohn eines erfolgreichen Verlegers russisch-jüdischer Abstammung in Paris geboren. Sein Vater Jacques Schiffrin ist durch seine Sammlung „La Pléiade“ sehr bekannt und arbeitet beim angesehenen Verlag Gallimard.
1940 besetzen die Deutschen Frankreich und Gallimard kündigt einem seiner erfolgreichsten Mitarbeiter, weil er Jude ist. 1941 flieht die Familie unter extremen Umständen und nur mit Unterstützung des Freundes und Schriftstellers André Gide über Marseille und Casablanca nach New York. Für den Vater ist es das zweite Exil. Denn schon einmal - nach der russischen Revolution – ging er ins Exil und zwar nach Paris, das zu seiner neuen Heimat wurde. New York hingegen wird nie zur Heimat. Denn die Eltern klammern sich – unbemerkt von ihm, André – an eine Rückkehr. Hier in New York vermissen sie alles, was Europa und Paris ausgemacht hat. Ihr Wohlstand ist dahin, keine Kaffeehäuser, wo sich die Dichter und Denker treffen, wo sie diskutieren und kommunizieren. Die Eltern sind einsam, fühlen sich ausgegrenzt.
André hingegen fühlt sich schon bald zur amerikanischen Gesellschaft zugehörig. Einer Gesellschaft, die auch nicht frei vom Antisemitismus ist. Es gibt verbotene Zonen für Juden, in der Schule wird er als Christusmörder beschimpft und verprügelt, an den Universitäten herrscht eine begrenzte Aufnahme von jüdischen Studenten und Professoren. Einer Gesellschaft, die unter McCarthy eine Kommunistenjagd beginnt, die ihre „Stille Generation“ formt. Einer Gesellschaft, die eher zum Konformismus statt Widerspruch und kritischem Denken erzieht. Der Kalte Krieg kriecht in alle Gesellschaftsbereiche. Die Chance für Reformen und hin zu einem sozial gerechteren Amerika scheint vertan. Nach Yale und Cambridge steigt André 1961 bei Pantheon ein. Es ist der Gründungsverlag seines Vaters und des deutschen Exilverlegers Kurt Wolff.
Ab jetzt reist André regelmäßig nach Europa, insbesondere nach Frankreich, wo er durch zahlreiche Gespräche mit Autoren und Verlegern intellektuelle Kraft sammelt. Im Vergleich zu anderen Verlagen, die im Mainstream der politischen Ereignisse mit schwimmen, beginnt André Bücher linker und kritischer Intellektueller zu verlegen. Er holt lange verbannte europäische Stimmen zurück in die USA. Namen wie Michelle Foucaults, Margerite Duras, Simone de Beauvoir, Jean Paul Sartre, Claude Simon, Pierre Bordieu sind nur einige, die den Verlag Pantheon wieder zum Avantgardisten machen.
Ideologisch vollzieht sich ab Mitte der 70er Jahre bereits eine Kehrtwende. Unbegrenztes Wachstum heißt die neue Prämisse. Immer mehr Großkonzerne schlucken kleine Firmen der Rendite wegen. Auch das Verlagswesen bleibt nicht verschont. So beginnt das langsame Sterben der traditionellen Verlagswelt. Nicht mehr der literarische Wert eines Buches zählt, sondern einzig die Profitabilität. Die kommunistische Selbstzensur
wird abgelöst von der Selbstzensur durch die ökonomische Konzernmacht. Die zügellose Ökonomisierung macht das Buch zu einem Massenprodukt und Wegwerfartikel. Es ist der Triumph eines mit der Kettensäge agierenden Wachstumsfanatismus, der Kultur und Bildung zerstört und damit die Freiheit und in Folge die Demokratie bedroht. Auch Pantheon gerät ins Netzwerk der ungehemmten Wachstumswelle und wird Bestandteil von Random House. Manager lähmen das Verlagsprogramm. Das Selbstverständnis der Verleger wird zu Grabe getragen. Für André werden 1991 die Grenzen dieses Selbstverständnisses überschritten. Er verlässt mit einigen Gleichgesinnten Random House und gründet „The New Press“. Ab 2003 begibt er sich auf die Suche nach einem Stück der alten Kultur seiner Eltern. Er wird zum Wanderer zwischen zwei Welten, Paris und New York. Und bislang, da ist er noch ein Amerikaner in Paris.
„Wunderbare alte Verlage mit einer bedeutenden Geschichte wurden auf ein Stockwerk – oder sogar nur noch einen Schreibtisch - in den neuen Verlagspalästen zusammengeschrumpft. Ein armseliges kleines Regal mit den Werken D.H. Lawrences oder George Orwells fungierte als Markierung - genauer gesagt als Grabstein – für eine einstmals pulsierende Gruppe engagierter Verleger.“
Eigentlich sagen diese Worte bereits alles. Das Diktat der Politik weicht nun dem Diktat der Märkte. Nicht nur das Selbstverständnis der Verleger ist zu Grabe getragen, sondern unsere Freiheit ist bedroht. Denn Kultur trägt Demokratie.
Vielleicht wollte André Schiffrin tatsächlich nichts Privates erzählen wie er sagt. Seinen Lebensweg anhand der politischen und sozialen Verhältnisse von den 40er Jahren bis heute darstellen. Das ist ihm auf hervorragende Weise gelungen. Aber da ist auch noch etwas Anderes, etwas so scheinbar Vertrautes. Ganz offen erzählt er, dass er nichts bemerkt habe von der Verzweiflung der Eltern, von der enttäuschten Mutter als die eigenen Landsleute sie als Juden beschimpfen, von den Ängsten der Eltern während der Flucht, von den katastrophalen Zuständen während der Überfahrt nach New York, von ihrer Hoffnung Frankreich wieder zu sehen und ihr altes Leben wieder zu bekommen. Nicht mal das Ausmaß der schweren Krankheit des Vaters hat er gekannt. Erst mit dem Lesen der elterlichen Briefe wird ihm vieles bewusst.
Auch sein persönlicher Konflikt wird erst jetzt deutlich. Er ist ein Gradwanderer zwischen zwei Welten, New York und Paris, auf der Suche nach einem Stück Vergangenheit.
André Schiffrin, Paris, New York und zurück. Politische Lehrjahre eines Verlegers, Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Marenzeller, Titel der Originalausgabe: A political education, 2010 Matthes & Seitz, Berlin, ISBN 978- 3-88221-685-1
© Soraya Levin